Geschichte im Walgau: Unterschied zwischen den Versionen

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Die Napoleonischen Feldzüge erreichten mit dem Walgau auch die freie Reichsherrschaft Blumenegg, die „von den kriegführenden Parteien wie ein erobertes Land behandelt wurde“ (siehe Pfarrer Zehender, Pfarramt Ludesch ~ 1890). Der Friede von Lunéville 1801 versetzte nicht nur dem alten Deutschen Reich den Todesstoß, sondern führte auch den Untergang Weingartens herbei. Gemäß Reichsdeputationshauptschluss vom 26.9.1802 zu Regensburg fiel das Reichsstift Weingarten mit seinem gesamten Herrschaftsgebiet - auch Blumenegg gehörte dazu - dem Prinzen Wilhelm-Friedrich von Oranien-Nassau zu; St. Gerold ging an das Haus Oranien-Dillenburg. Beide Oranierhäuser waren norddeutsche, protestantische Fürsten. Noch im Herbst 1802 nahmen die neuen Herren Blumenegg in die Pflicht. Doch Habsburg-Österreich erwarb mit Kaufvertrag vom 23.6.1804 die reichsfreie Herrschaft Blumenegg und St. Gerold.
Die Napoleonischen Feldzüge erreichten mit dem Walgau auch die freie Reichsherrschaft Blumenegg, die „von den kriegführenden Parteien wie ein erobertes Land behandelt wurde“ (siehe Pfarrer Zehender, Pfarramt Ludesch ~ 1890). Der Friede von Lunéville 1801 versetzte nicht nur dem alten Deutschen Reich den Todesstoß, sondern führte auch den Untergang Weingartens herbei. Gemäß Reichsdeputationshauptschluss vom 26.9.1802 zu Regensburg fiel das Reichsstift Weingarten mit seinem gesamten Herrschaftsgebiet - auch Blumenegg gehörte dazu - dem Prinzen Wilhelm-Friedrich von Oranien-Nassau zu; St. Gerold ging an das Haus Oranien-Dillenburg. Beide Oranierhäuser waren norddeutsche, protestantische Fürsten. Noch im Herbst 1802 nahmen die neuen Herren Blumenegg in die Pflicht. Doch Habsburg-Österreich erwarb mit Kaufvertrag vom 23.6.1804 die reichsfreie Herrschaft Blumenegg und St. Gerold.


== Industriegesellschaft und Jahrtausendwende ==
== Von der Industriegesellschaft zur Jahrtausendwende ==
 
Mit dem Erwerb von Blumenegg wurde der Walgau wieder zu einer einheitlichen, geschlossenen Region unter gleicher Führung. Allerdings waren die Erwartungen der Blumenegger für eine Heimat in einem großen und beständigen Reich wohl überzogen, denn die österreichische Herrschaft hatte kaum begonnen, als die nächsten Veränderungen den Walgau - und ganz Vorarlberg - erreichten: die bayerische Herrschaft begann am 13. März 1806. Sie wurde von der Bevölkerung mehr als Besatzung empfunden - sie war für die Blumenegger so viel anders als das bisherige und lange Gewohnte aus der Zeit Weingartens. So kurz das bayerische Regiment auch währte, so einschneidend wirkten die getroffenen Neuerungen. Begrüsst wurde, dass die Frondienstverpflichtung für eine gewisse Zeit ausgesetzt wurde. Doch die Gnos-Gerichte der Herrschaft in Tal und Berg wurden aufgehoben; die richterliche Gewalt und ebenso die administrative Verwaltung wurde dem königlich-bayerischen Landgericht Sonnenberg-Nüziders übertragen und alle Landgerichte dem Appellationsgericht in Memmingen unterstellt. In den Vorarlberger Gemeinden wurde die Normalschule eingeführt sowie ein neues Gemeindegesetz und eine Armenregelung (Armenfonds) geschaffen. 1806 erfolgte die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht. Das Recht der Steuereinhebung ging verloren, die Gemeindeautonomie wurde beseitigt. Die Erhebung von 1809 gemeinsam mit Tirol blieb erfolglos. So blieb am Schlusse nicht nur für Blumenegg alles beim alten Zustand. Erst als die Macht Napoleons 1813 in der Schlacht bei Leipzig gebrochen und Bayern 1814 Vorarlberg wieder an Österreich abgetreten hatte, konnte am 7. Juli 1814 in einem feierlichen Festakt im Bregenzer Rathaus Vorarlberg und damit auch Blumenegg von Habsburg-Österreich wieder in Besitz genommen werden.
 
Im Rückblick auf die „bayerischen Zeiten“ darf nicht übersehen werden, dass trotz vieler Fehler und übereilter Reformversuche auch Fortschritte gemacht wurden, die nicht ohne weiteres damals als solche gesehen wurden: Gleichheit vor dem Gesetz, Freiheit des Gewissens, Neuregelung des Armen- und Gesundheitswesens, Ausbau des Schulwesens und Einführung des Katasters. Als Erbe der bayerischen Herrschaft blieb die Einteilung in die sechs Gerichtsbezirke und die Regelung der Gemeindegrenzen.
 
Mit der neuerlichen Übernahme Blumeneggs durch Habsburg-Österreich wurden zwar weder Frondienste geleistet noch in Form einer Ablösung bezahlt. Erst mit Datum 16.10.1838 wurde dieser nur im Gebiet Blumenegg bestehende Zustand der Frondienstpflicht endgültig aus der Welt geschafft und damit die letzten Reste der ehemaligen Leibeigenschaft getilgt. Die Blumenegger waren jetzt den Walgauern "gleich".
 
Erst jetzt eröffnete sich die Möglichkeit, durch unselbstständige Arbeit, aber ohne Fron für die Herrschaft, eine eigene Arbeitswelt zu begründen: Fabriken entstanden - aus „Fronleuten“ wurden „Fabrikler“, soweit sie nicht selbst über ausreichende landwirtschaftliche Flächen verfügten. Diese waren in den entsprechenden Größenordnungen jedoch anderen vorbehalten, denn sie - die Fabrikler - hatten nur ihre Hausbündt und die schon früher von der Herrschaft freigegebenen Nutzflächen wie etwa die „Neugüter“, die „Länder“ (Hanfländer) und die „Plätze“. Aber auch das galt nur für die „Eingeborenen“ - der Zustrom der Bewohner aus anderen Regionen wurde daran nicht beteiligt. Handwerker - oft aus einer bisherigen Fronarbeit entstanden - gab es jetzt mehr, denn auch die Bedürfnisse für Wohnen und Leben, für landwirtschaftliche Tätigkeiten wie für den alltäglichen und bürgerlichen Gebrauch waren jetzt gefragt. Sie entwickelten sich aus diesem Umfeld heraus in einer Art Eigendynamik und brachten dem Meister auch Ansehen und bescheidene Einkünfte. Damit hatte das Wirtschaften begonnen ....
 
Die Walgauer Wirtschaftswelt ist an der Wende vom achtzehnten zum neunzehnten Jahrhundert noch
eine rein landwirtschaftlich geprägte und herrschaftlich geführte Gemeinschaft. Mit der Industrialiserung der Textilwirtschaft in den frühen Dreißigerjahren des neunzehnten Jahrhunderts ändert sich das Bild: da sind die arbeitskräftesuchenden Fabriken auf der einen Seite und die der Frondienste entwöhnten Untertanen auf der anderen Seite. Was im Bereich der Städte Feldkirch und Bludenz mit der fabriksmäßigen Textilverarbeitung beginnt, setzt sich fast gleichzeitig innerhalb des Walgaues an mehreren Standorten fort: Spinnerei, Weberei, Färberei und Veredlung drücken in Thüringen und Gais, in Nüziders, Nenzing und Frastanz Dorf und Landschaft ihren Stempel auf. Für die nicht-landwirtschaftliche Wohnbevölkerung erwächst statt des Frondienstes die hochwillkommene Fabriksarbeit - denn sie bringt erstmals anstelle einer Art Naturalentlohnung geldwerte Leistungen. Der Fabrikler hat nach wie vor nicht viel, aber dennoch mehr als früher: er hat einen "Verdienst", ein echtes wenn auch beschwerliches Arbeitseinkommen. Bäuerliches Leben und Handwerksberuf bedeuten für den einen Besitz und damit einen gewissen Vermögensbestand, für den anderen Facharbeit und Ansehen zugleich. Des "Handwerks goldener Boden" wird auf dem Land zwar nicht allzu sehr strapaziert - doch in den Städten ist das anders. Sie alle lernen Bildung in der ein- oder zweiklassigen Volksschule; für mehr Lernen und für mehr Bildung bedarf es großer Entbehrungen. Pfarrer, Vorsteher und Schulleiter sind die für das Dorf wichtige Größenordnung; die Kinder werden noch viele Jahrzehnte lang das ehrerbietige "Ihr" zu ihnen sagen ...
 
Herrschaften wie früher gibt es nicht mehr, Demokratien sind kaum sichtbar und die Zugezogenen aus dem altösterreichischen Trentino brauchen Zeit, um sich zu integrieren; da gibt es Gemeinden, bei denen zur Jahrtausendwende jeder Vierte oder Fünfte zu den "Migranten" zählt. Der Erste Weltkrieg, von dem aber noch niemand weiß, wird das ändern; der Zweite Weltkrieg wird noch ganz andere Änderungen bewirken, die das Vorstellungsvermögen der nunmehr "Eingesessenen" beinahe überfordern werden. Bis dahin bleibt der Walgau noch immer eine Landschaft der Klein- und Mittelbetriebe, allerdings mit einer unbestreitbaren Dominanz der großen Textilwirtschaft.
 
Die wirklich „Großen“ liegen außerhalb der Gemarkungen der Walgaudörfer, die noch nicht zur Marktgemeinde geworden sind. Diese Welt der Klein- und Mittelbetriebe ist eine recht bunte und ebenso vielfältige, oft schwer überschaubare Welt: sie ist jedoch kein globales Ereignis. Sie bleibt mit ihren Wurzeln am vertrauten Boden, sie versucht sich natürlich auch im Neuen - aber Tradition ist doch eher groß geschrieben. Sie hat manchmal einen langen Bestand als Familienbetrieb durch Generationen hindurch.
 
Diese Welt der Klein- und Mittelbetriebe ist gekennzeichnet, dass Professionelles und Privates oft miteinander verschränkt sind: ökonomisches Kalkül und soziales Verhalten sind nicht scharf voneinander getrennt. Das schafft einerseits ungeheure Motivation und Kraft für das Betriebsleben, andererseits sind auch schwierige Situationen durchzustehen: die mangelnde Trennung von privaten und geschäftlichen Interessen hat so manchen Betrieb ruiniert. Das gilt auch für die Neuen, die ebenso unterschiedlich herangewachsen sind und ihre Gründerzeit überstanden haben. Da ist viel Persönliches darin mit viel Hoffnung und ebensolchem Engagement, aber auch mit Frust über das Unvermögen und die zu späte Erkenntnis lange wirkender Wirtschaftsgesetzmäßigkeiten. Kommt die Ungunst der Stunde dazu oder ein besonderes oder überragendes Ereignis, eine Fehleinschätzung oder zu viel Überheblichkeit, so ist dies geeignet, den Anlass zum vorläufig letzten Schritt zu geben. Manches und mancher ist im Konzert der Großen und der Globalisierung nicht mehr gefragt. Doch auch Großes fällt - aus den verschiedensten Gründen - dem Zahn der Zeit oder dem Biß der Konkurrenz zum Opfer: Ganahl/Frastanz, Getzner/Nenzing, Degerdon/Gais und Kastner/Thüringen sind Beispiele - oder Marksteine - dafür. Delunamagma ist - hoffentlich - ein Schlußpunkt. Eine unverkäufliche Lungenheilstätte weckt nur Erinnerungen, aber keinen Käufer. So bleibt die Walgaugeschichte auch zur Jahrtausendwende immer noch lebendig.


== Verschiedenes ==
== Verschiedenes ==
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