Achtung: hier beginnt ein Experiment!

Die Erfahrungen mit der Erarbeitung der Räumlichen Entwicklungskonzepte im Walgau und ähnlichen Erfahrungen aus anderen Gemeinden, Regionen und Landesteilen führten bei der Landesraumplanung zu einem Prozess des Nachdenkens. Es zeigte sich nämlich, dass die Beteiligung der Bürger an solch komplexen Fragestellungen eher gering ist. Es beteiligen sich diejenigen, deren Grundstück von einer Planung betroffen ist, und diejenigen, sie aufgrund ihres persönlichen Engagements häufig an Workshops und öffentlichen Veranstaltungen mitarbeiten. Das ist nicht befriedigend.

So entstand das Projekt "Maßnahmen zur Stärkung der Beteiligungskultur in Raumplanungsfragen". Zusammen mit den Systempartnern von verschiedenen Beratungsbüros, mit Bürgermeistern und Regionalmanagerinnen wurde das Thema in zwei 'Beteiligungsateliers' diskutiert. Das Ergebnis ist ein Leitfaden, der im Entwurf vorliegt. Er soll nun im WalgauWiki mit allen am Prozess beteiligten und weiteren am Thema Interessierten überarbeitet werden. Wir freuen uns über jeden Beitrag.

Heiko Moosbrugger, Stefan Obkircher, Manfred Walser


Hier also nun der Leitfaden- Entwurf

Vorbemerkung

Im Idealfall führt eine gute Beteiligungskultur und –praxis zu besseren Lösungen in der Planungs-praxis. In Vorarlberg wird dies derzeit in verschiedenen Bereichen erprobt (BürgerInnenräte des Büros für Zukunftsfragen, Wahrnehmungsspaziergänge in der Raumplanung etc.). Für die Raumplanung wurde das Thema ‚Beteiligung‘ nun intensiviert und systematisch angegangen.

Der vorliegende Leitfaden ‚Beteiligungsprozesse in der Raumplanung‘ entstand auf der Grundlage von zwei Workshops (‚Beteiligungsateliers‘), die die Abt. Raumplanung der Landesverwaltung gemeinsam mit ihren Systempartnern im Jahr 2014 durchgeführt hat. Dabei ging es um folgende Fragen:

  1. Wie muss ein Beteiligungsprozess gestaltet werden, der einen Mehrwert für alle Beteiligten erbringt und der die spezifischen Anforderungen raumplanerischer Fragestellungen berücksichtigt?
  2. Wie kann generell die Beteiligungskultur in der räumlichen Entwicklung in Vorarlberg stärker verankert werden und welche gemeinsamen Lernprozesse kann man dazu in die Wege leiten?

Verschiedene Erfahrungen und Beobachtungen der letzten Jahre gaben Anlass, das Thema aufzu-greifen:

  • Intensive Planungsprozesse mit weitreichenden Folgen finden wenig Widerhall in der Bevölkerung, weil die Planungsthemen für viele zu abstrakt sind.
  • Es beteiligen sich immer nur dieselben Personen, die sich in derartigen Prozessen aufgrund ihrer hohen intrinsischen Motivation engagieren.
  • Darüber hinaus melden sich nur diejenigen zu Wort, die als Grundeigentümer oder Anlieger persönlich betroffen sind und die Planungen kritisieren.
  • Aufgrund dessen empfinden Gemeinden den Beteiligungsprozess oft nur als ‚lästige Pflicht‘, die in den Förderkriterien vorgeschrieben ist.

Deswegen ist es notwendig, den im Raumplanungsgesetz definierten Begriff der ‚angemessenen Beteiligung‘ mit Leben zu erfüllen. Dies soll mit dem vorliegenden Leitfaden geschehen, der in Zusammenarbeit mit Entscheidungsträgern und externen BeraterInnen erarbeitet wurde.


Über Beteiligungsprozesse in der Raumplanung

Warum Beteiligung in der Raumplanung

Nach Prof. Klaus Selle, dem Referenten des ersten Beteiligungsateliers, gibt es prinzipiell zwei Gründe, warum Beteiligungsprozesse durchgeführt werden: Beteiligung wird (1) als Beitrag zur Wiederherstellung von Vertrauen und damit zur Stärkung von Demokratie angesehen und (2) helfen Beteiligungsprozesse, Konflikte vermeiden (»Wer Bürgerinnen und Bürger als ‚Risiko‘ sieht und dem von Anfang an Rechnung trägt, betreibt das intelligentere Projektmanagement«).

Für die räumliche Planung ist eine kommunikative und Beteiligungs- orientierte Prozessgestaltung jedoch noch aus weiteren Gründen unerlässlich: Die Flächen, auf die sich unsere Planungen richten, sind keine leeren Flächen. Sie sind mehr oder weniger intensiv genutzt, sind Lebens- und Wirkraum von Menschen und Institutionen, haben eine Geschichte, sind mit Rechten belegt und Gegenstand verschiedener Interessen. Daher braucht es Erkundungen bei denjenigen, die den Raum kennen und nutzen. »Das Wissen der Bürger als Experten des Alltags für ihr Lebensumfeld, ihre detaillierte Ortskenntnis, ihre Kreativität oder ihre individuellen Interessen bilden ein großes Potenzial für die zukunftsfähige Gestaltung und Entwicklung von Städten und Regionen.«

Und ein weiterer Punkt kommt dazu: Kommunikation ist wesentlich, weil die räumliche Planung ‚bösartige Probleme‘ (wicked problems) zu bearbeiten hat. Solche Probleme sind dadurch gekennzeichnet, dass sie nicht abschließend definiert sind, keine festgelegten Lösungswege kennen und sich die Lösungen in der Regel nicht in ‚richtig‘ und ‚falsch‘ unterscheiden lassen. ‚Wicked Problems‘ benötigen die Verständigung darüber, was das genaue Problem ist, welche konkrete Aufgabenstellung daraus abgeleitet werden sollten und welche Lösungen als ‚gute‘ oder ‚schlechte‘ Lösungswege charakterisiert werden können. All dies ist Gegenstand einer Abstimmung mit verschiedenen Beteiligten und Betroffenen im Planungsprozess. Deswegen ist Kommunikation in der räumlichen Planung heute ‚state of the art‘.


Besonderheiten der Beteiligung aus Sicht der Raumplanung

Bei raumplanerischen Fragestellungen geht es häufig um eine Gegenüberstellung von übergeordnetem Gemeinwohl und Einzelinteressen, denn die Raumplanung handelt in vielen Fällen mit öffentlichen Gütern.

Aber auch die Berücksichtigung von Anliegen der Bürger ist in der Raumplanung gesetzlich institutionalisiert. Nach §3 RPG soll eine Interessenabwägung stattfinden: „Bei der Raumplanung sind alle berührten Interessen (…) so gegeneinander abzuwägen, dass sie dem Gesamtwohl der Bevölkerung am besten entspricht. Die Planung ist unter möglichster Schonung des Privateigentums durchzuführen.“

Das spiegelt sich in der Zusammensetzung der Beteiligten wider. Es beteiligen sich an raumplanerischen Fragestellungen (a) vor allem diejenigen, die durch ein Planungsvorhaben persönlich betroffen sind (als Grundbesitzer, Anlieger, etc.), und (b) diejenigen, die sich aufgrund ihrer intrinsischen Motivation für das Gemeinwohl interessieren (die immer gleichen Verdächtigen, die in jeder Veranstaltung zu finden sind, weil sie sich gerne engagieren).

Bei der Beteiligung an räumlichen Planungsprozessen sind Besonderheiten zu beachten, die mit der Komplexität der Materie (verschiedene Blickwinkel) und dem abstrakten Thema (lange Zeithorizonte, Darstellbarkeit der Probleme) zusammenhängen.


Beteiligungsproblem 1: Wie wird raumbezogenes Wissen generiert?

Der Raum ist zwar einerseits durch seine physische Beschaffenheit charakterisiert, er ist aber darüber hinaus auch durch sog. ‚Place making- Prozesse‘ sozial konstruiert. Wenn verschiedene Akteure den gleichen Raum anschauen, nimmt jede/r auf den ersten Blick andere Raumattribute wahr: Die landwirtschaftliche Bodenqualität, die Biotopqualität und Artenvielfalt, die verkehrliche Erreichbarkeit, die Erholungseignung, die Bebauung in der Nachbarschaft usw. Diese Wahrnehmung ist von den persönlichen Interessen als Landwirt, Naturschützer, Wirtschaftsförderer oder Grundbesitzer geleitet. Das führt dazu, dass Bürger über dieselbe Fläche sprechen können und trotzdem aneinander vorbei reden. Denn mit den unterschiedlichen Sichtweisen sind auch unterschiedliche Antworten auf die Frage verbunden, wie denn die adäquate Nutzung des Raumes aussehen soll. Man kann sich die soziale Konstruktion eines Raumes ungefähr folgendermaßen vorstellen:


Beteiligungsproblem 2: Wie wird der Raum dargestellt und wahrgenommen?

Damit steht in engem Zusammenhang die Frage nach der Raumdarstellung und -wahrnehmung. Wie nehmen die zu Beteiligenden einen Raum wahr? Welche Hilfsmittel erhalten sie (denn viele Menschen können nicht auf Anhieb eine Karte lesen und verstehen…)? Wie werden die Raumwahrnehmungen der Beteiligten abgeholt und aufgezeichnet, wie werden sie verarbeitet (bildlich, narrativ, direkt vor Ort…)? Auch die Raumdarstellung spielt dabei eine wichtige Rolle (Kartographie und ihre Alternativen, wie z.B. mental maps, ‚Planning for Real‘ am 3D- Modell, Raumbegehungen). In diesem Bereich sind raumplanerische Themen eine große Herausforderungen an jeden Beteiligungsprozess.


Beteiligungsproblem 3: Welche Rolle spielt der Zeitfaktor in der Raumplanung?

Die Zieldiskussionen in der Raumplanung schwanken zwischen langfristigen Entwicklungskonzepten einerseits und kurzfristigen Nutzungsansprüchen andererseits. Aus Sicht des Planenden steht der langfristig gewünschte Zustand im Mittelpunkt – dieser Zustand sollte der ‘Treiber’ der räumlichen Entwicklung sein. Derartige Überlegungen sind aber schwierig in Beteiligungsprozesse zu integrieren. Zum einen ist das Interesse der potentiell Beteiligten an Langfrist- Themen erfahrungsgemäß begrenzt, zum anderen ist eine inhaltlich und methodisch schlüssige Zukunftsvorausschau ein schwieriges Unterfangen. Und bei langfristigen Planungshorizonten besteht auch die Gefahr, dass Zielvorstellungen zu statisch werden. Daher müssen immer auch kurzfristige Entwicklungspotentiale beachtet werden (Zwischennutzung, Rückbaubarkeit, etc.).


Beteiligungsproblem 4: Welche Beteiligungsbefugnisse gibt es in der Raumplanung?

Die gesetzlichen Vorgaben zur Beteiligung sind knapp gehalten. Im Raumplanungsgesetz ist für die meisten Planungen nur der Hinweis auf das öffentliche Auflageverfahren beinhaltet („Der von der Gemeindevertretung beschlossene Entwurf (…) ist einen Monat im Gemeindeamt zur allgemeinen Einsicht aufzulegen…“) mit den Detailregelungen zu Kundmachung usw. Das gilt für den Landesraumplan, das Räumliche Entwicklungskonzept, den Flächenwidmungsplan, den Bebauungsplan oder den Umlegungsplan. Zum Räumlichen Entwicklungskonzept findet sich im RPG zusätzlich die Formulierung: „Bei der Erstellung des räumlichen Entwicklungskonzepts hat die Gemeinde die Mitwirkung der Bevölkerung in angemessener Weise zu gewährleisten.“ Was im Einzelfall angemessen ist, wird vom Gesetz nicht weiter spezifiziert.

Dazu stellen sich verschiedene Fragen: Für wen soll die Beteiligung angemessen sein? Was für eine Landesverwaltung angemessen erscheint, wird von einer Gemeinde, einer NGO oder einem Grundbesitzer möglicherweise ganz anders gesehen. Im Hinblick worauf soll die Beteiligung angemessen sein? Im Hinblick auf das zur Verfügung stehende Budget? Auf die Einwohnerzahl? Auf einen definierten Zeitrahmen? Auf die Zusammensetzung der Beteiligten? Und was bedeutet ‚angemessen‘ bei einer Konflikt- behafteten Planung?


Beteiligungsproblem 5: Welche raumplanerische Ebene wird betrachtet?

Je nach raumplanerischer Ebene (und damit nach Art der Planung) sind die Anforderungen an einen Beteiligungsprozess sehr unterschiedlich:

  • Für die örtliche Raumplanung mit Entwicklungskonzepten und Flächenwidmungsplanung kann gelten: »Viele Kompetenzen müssen zusammengeführt werden, damit eine gute Stadt entsteht« (noch ein Zitat von Prof. Klaus Selle aus dem ersten Beteiligungsatelier).
  • Bei Fragen der Regionalplanung und Regionalentwicklung, z.B. mit sektoralen oder integrierten räumlichen Konzepten für Teilräume von Vorarlberg oder das ganze Land nimmt erfahrungsgemäß der Einfluss der organisierten Interessen zu und die Beteiligung der einfachen Bürger ab. Dies ist jedoch eine Zustandsbeschreibung und keine Charakterisierung einer wünschenswerten Situation.
  • Wenn die Beteiligung einen Beitrag zu Grundlagenstudien oder übergeordneten Strategien leisten soll (ÖREK, EUSALP, etc.), wird die fachliche Expertise von Expertennetzwerken und ‚Epistemic Communities‘ eine größere Rolle spielen. Trotzdem kann eine breite Beteiligung zumindest in Form empirischer Umfragen wichtige Erkenntnisse liefern.

Auch der räumliche Maßstab spielt also eine wichtige Rolle für das Design eines ‚angemessenen‘ Planungsprozesses.


Bausteine für Beteiligungsprozesse und Selbstverständnis der beteiligten Anspruchsgruppen

Ein Beteiligungsprozess kann durch ein sorgfältiges Design an Qualität gewinnen. Dabei hilft es, den Planungsprozess in einzelne Schritte zu zerlegen und bei jedem Schritt getrennt zu überlegen, wer die handelnden Akteure sind, welche Aufgaben sie haben, wer Entscheidungen trifft und wie verschiedene Akteursgruppen ggf. zusammenwirken müssen. In diesem Wechselspiel geben während bestimmter Phasen die beteiligten Bürger den Ton an, während in anderen Phasen die Fachexperten das Wort haben oder politische Weichenstellungen getroffen werden müssen. Wir nennen das das ‚Ping-Pong Spiel gelingender Beteiligung‘.

Da jeder Planungsprozess seine eigene Choreographie besitzt, die sich aus dem Zusammenwirken von Problemstellung, Rahmenbedingungen und Akteurskonstellation ergibt, kann man keinen standardisierten Ablauf für dieses Wechselspiel definieren. Man kann jedoch idealtypisch verschiedene Prozessphasen benennen und durchdenken:


1. Handlungsbedarf feststellen:

Letztlich ist immer die Wahrnehmung eines Problems der Ausgangspunkt für einen (räumlichen) Planungsprozess.