Vor- und Frühgeschichte

Zwei Namen beherrschen die Frühzeit der Besiedlung und der historischen Entwicklung Vorarlbergs: Räter und Römer - die Räter sind eben schon da und die Römer werden noch kommen. Genau dahin passt die Feststellung von Burmeister [1], wenn er da meint: „Der geographische Raum begründet nicht die Geschichte, er gibt nur den Rahmen ab, in dem der Mensch die Geschichte gestaltet .... Erst in der Steinzeit wird das Land dauernd besiedelt, in der Bronzezeit finden wir in der ur-illyrischen Urnenfelderkultur und in der ur-rätischen Melaunerkultur eine fortgeschrittene arbeitsteilige Wirtschaft verwirklicht.“

Vorgeschichtliche geologische bzw eiszeitliche Relikte im Walgau sind an sozusagen "an beiden Enden" zu entdecken: der Gletschertopf (Gletschermühle) in Göfis über dem Ostportal des Ambergtunnels und die "transalpinen Silvrettagneise" auf den Walgau-Hangterrassen, die sich in Bürserberg / Tschengla als Baumaterial für Steinkreise erweisen.

Die Siedlungsgeschichte in Südvorarlberg beginnt um 3000 v.Chr. mit den Höhensiedlungen der Jüngeren Steinzeit; dazu gehören die frühen Siedlungen auf den Inselbergen im Rheintal, etwa am Kummenberg/Kadel, dem Montlingerberg und dem Schellenberg. Im Montafon finden sich Reste einer mehr als 3800 Jahre alten Siedlungsstätte im Friagawald / Bartholomäberg; diese Siedlung war Teil einer großen bronzezeitlichen Burganlage. Die Steinkreise in Bürserberg/Tschengla, die eine entsprechende Wohnbevölkerung als Arbeitstruppe voraussetzen, lassen sich in dieselbe Zeitspanne datieren. Das alles bedeutet, dass mit dem auslaufenden dritten Jahrtausend v.Chr. in Südvorarlberg bereits beachtliche Größenordnungen an Wohnsiedlungen vorhanden sein mussten; das fällt also in die "Ötzi-zeit". Bedeutende archäologische Grabungen gibt es mit dem Kultplatz Scheibenstuhl / Nenzing und am Diabsschlössle / Lorüns; Grabungen am Rappenkopf / Nüziders sowie Katilsköpfle / Nüziders bringen bronzezeitliche Relikte und Artefakte zutage. Verstürztes Mauerwerk und verfallene Grabenreste künden auf Vatlära / Satteins, Hochwindenkopf / Göfis und Stadtschrofen / Feldkirch von verlassenen frühzeitlichen Siedlungsresten, die ihrer Erschliessung harren. Die 1939/1941 und 1945/1947 ergrabene Heidenburg / Göfis wurde nicht vor 1100 v.Chr. errichtet; das ist jene Zeit, in welche auch der Montikel / Bludenz seinen geschichtlichen Platz findet. Im Raum Walgau - ausgenommen bei der Heidenburg - sind im zweiten Jahrtausend v.Chr. also keinerlei Bodenfunde zu verzeichnen; damit bleibt der Walgau ohne archäologischen Nachweis aus der Jungsteinzeit und dem Leben der Räter der Urnenfelderzeit.

Walgau und Montafon waren bereits in später Steinzeit und Bronzezeit besiedelt. Auch die Steinanlagen - Steinkreise und Alignéments - auf der Tschengla sind nicht einfach „zufällig“ entstanden, sondern durch Menschenhand hineingesetzt worden. Um jedoch solch "gewichtige" Anlagen zu erstellen, bedarf es einer entsprechenden Anzahl an Bewohnern, die in angemessener Entfernung zu den Steinkreisen ihre Wohnstätten haben mussten; wo diese liegen, müssten neue Hinweise und Untersuchungen erbringen. Mottakopf / Bürserberg und Rona / Tschengla sind mögliche Standorte solcher Wohnbezirke. Die Frage, was hinter diesen beachtlichen Bauleistungen steht, ist ein ganz anderes Kapitel.

Mit dem Beginn der frühen Bronzezeit (etwa 2200 bis 1800 v.Chr.) gibt es erste Nachrichten von einem unbekannten Volk: die Räter. Genau genommen sind diese gar kein Volk, sondern eher die Summe mehrerer alpiner Stämme mit wirtschaftlichen wie kulturellen Kontakten. So sind die Räter erstmals in das Blickfeld unserer Geschichte getreten. Von den Römern werden sie erst kurz vor der Jahrtausendwende zur Kenntnis genommen, als sie an die Eroberung des süddeutschen Raumes denken. Das wird dann 15 v.Chr. höchst aktuell werden.

Auf einem doch recht begrenzten Kulturland zwischen Bodensee und Alpensüdrand lebte eine rätische Bevölkerung, die sich von Viehzucht, Jagd, Fischerei, Waldnutzung und etwas Ackerbau ernährte. Die trockenen und fruchtbaren Flanken des Rhein- und Illtales abseits der versumpften Mitte und die bereits erwähnten Terrassen- und Höhensiedlungen bildeten ihren eigentlichen Lebensraum. Mit dem Ende der Urnenfelderzeit werden viele dieser Siedlungen wieder aufgelassen, zB auch jene auf Bartholomäberg.

In diesen Siedlungsraum drängen jetzt die Kelten: sie tauchen im 6. Jhdt v.Chr. am Oberlauf der Donau auf und erreichen den Rand des rätischen Zentralalpenraumes; seit 500 v.Chr. drängt die keltische Völkerwelle an die Flanken der Alpen. Sie dringt im Bereich des Rheintales auch in Südvorarlberg und den Walgau hinein. Es kommt zu Einbrüchen, zur Einwanderung von Flüchtlingen und mancher Überfremdung. Das Rätertum ließ sich zwar nicht entwurzeln, doch die Kelten gewinnen zunehmend Einfluss auf ihre südlichen Nachbarn. Bis die Römer kamen ...

Römische Eroberer und Napoleons Tribut

Drusus und Tiberius besiegen 15 v.Chr. die Vindeliker südlich der Donau und erobern Raetien. Diese militärische Zangenbewegung ist die alles entscheidende militärische Maßnahme; der triumphale Erfolg der Aktion gibt den beiden Feldherren recht, denn „Tiberius und sein Bruder Drusus beendeten die unbehinderten Einfälle dieser Völkerschaften in einem einzigen Sommerfeldzug" [2]. So entsteht die „Raetia Prima“ mit Hauptsitz in Chur; der Walgau - vallis drusiana - wird Teil dieser römischen Provinz. Was wir hier einflechten wollen: der Feldherr Drusus hat seine Truppen jedoch nicht durch dieses Tal oder gar im Raum Nüziders in die große Entscheidungsschlacht geführt. Diese Annahme führte zum Namen „vallis drusiana“, das „Trusiana“ oder das „Tal des Drusus“. Die drusianischen Heerscharen sind weder über den Arlberg noch über das Zeinisjoch oder den Vermuntpass in Richtung Bodensee gezogen.

Der Eroberung der rätischen Alpen und der Niederwerfung ihrer Stämme folgte die Einrichtung der römischen Verwaltung. Die römischen Sieger besaßen große Verwaltungserfahrung, dazu ein städtisch ausgerichtetes Rechtsleben und eine kapitalistische Wirtschaftsform mit zahlreichen Sklaven. Der wichtige Straßenbau mit Brigantium als einem geschickt ausgewähltem Knotenpunkt berührt auch den Walgau. Davon künden die nachrömischen Bezeichnungen für verschiedene Hangtrassenwege gerade in diesem Bereich.

Jetzt konnte das neue Leben nach römischer Art beginnen. Große Gutshöfe wurden angelegt - „villae rusticae“, die stets auf Neuland am Rand der schon bestehenden Fluren der Räter errichtet wurden. Diese Fluren wurden weitgehend von den rätischen Bauern in den alten Dörfern beherrscht, ihr genossenschaftlicher Zusammenhalt gab zunächst weiterhin Rückhalt für die Wohnbevölkerung. Die bisherigen einfachen Stammesgemeinden zerfielen in Dörfer („vici“), um deren eigene Angelegenheiten sich die herrschenden Römer nicht kümmerten; die Dörfer besaßen eine besondere Autonomie: die Dorfgenossen („vicani“) fassten gemeinsame Beschlüsse und die Dorfbeamten („curatores“) walteten in deren Auftrag.

Jetzt kommen die Alemannen in das Blickfeld der Geschichte: im Rheintal und im Walgau verlassen die Bewohner ihre offenen Siedlungen, flüchten in abgelegene Schlupfwinkel oder beziehen wieder die lange verlassenen Fluchtburgen der rätischen Zeit (dies gilt für die Heidenburg und Stellveder); die zerstörten „villae“ auf dem Lande veröden. Der Ostgotenkönig Theoderich macht all dem 493 ein Ende und begründet das Königreich der Ostgoten. Raetien ist jetzt nur mehr ein kleines Stück Weltgeschichte .... ist dennoch ein Teil des Ostgotenreiches und hat jetzt ein eigenes Statut mit großer Selbstverwaltung. Die Alemannen werden jetzt zu einem wichtigen Baustein in den Abwehrplänen gegen die fränkische Expansion; damit wird das nördliche Raetien - das Bodenseerheintal und der Walgau - endgültig als Siedlungsraum für die Alemannen geöffnet. Ihre Ausbreitung erfolgt nun nicht mehr so stürmisch, sondern eher unbemerkt. Die alemannische Sprache beginnt das Rätoromanische zu überlagern und schließlich zu verdrängen. Das romanische Oberland teilt die Geschicke Raetiens, die alte Verfassung bleibt bestehen und auch die Sprache. Es bleibt durch Jahrhunderte weiterhin rätoromanisch. Im alemannischen Unterland spielen die zahlreichen Gaufürsten eine sehr wichtige Rolle, denn jetzt entsteht das alemannische Herzogtum. Die Sprache wird - ganz im Gegensatz zum romanischen Oberland - in verhältnismäßig kurzer Zeit umgedreht.

Für die recht gewalttätige Herrschaft der Franken ist das Rheintal lediglich als Durchmarschgebiet wichtig, der Walgau liegt abseits. Die fränkische Herrschaft wird rund 400 Jahre dauern - doch zuerst sind die Merowinger da, dann folgen die Karolinger: mit der Kaiserkrönung Karls des Großen entsteht das „Heilige Römische Reich deutscher Nation“, ein zentralistischer Einheitsstaat, der sich allerdings nach dem Tod Karls des Großen auflöst. Fortdauernde Teilungen erschweren jetzt das Zusammenleben so verschiedener Stämme.

Auch die Christianisierung geht getrennte Wege: In Raetien ist das Christentum von Oberitalien über Mailand recht schnell nach Norden vorgedrungen; in Zillis, Schiers und Chur finden sich Reste von Kirchenbauten aus dem 4. Jhdt. Chur hat bereits um die Mitte des 5. Jhdt. eine gut organisierte Christengemeinde; Asinio wird 451 als erster Bischof in Chur genannt. Über Mailand - Como - Chur läuft sehr rasch der Fortgang der Christianisierung: die ersten Außenposten von Chur finden sich wenige Jahrzehnte später im Walgau - zB [[Nenzing um 500]], [[Bludesch-Nikolaus 6. Jhdt.]] Das rätische Güterverzeichnis wird 842 in fast jedem Walgaudorf eine Kirche mit Zehent nennen ....

Raetien wird ein Bischofsstaat und trägt jetzt die Bezeichnung „Churrätien“. Eine Reihe von Bischöfen der Familie der Viktoriden ist in der weltlichen und kirchlichen Macht integriert; es gibt ein Nebeneinander Rätiens und Alemanniens, es gibt eine geordnete Verwaltung. Das Land wird in Bezirke und diese in selbstverwaltete Gerichts- und Ortsgemeinden gegliedert. So entsteht neu der Bezirk „Drusental“ oder „Drusengau“ - das ist das „vallis drusiana“; später wird der Walgau im kirchlichen Gebrauch als das „Drusianische Kapitel“ (14. Juni 1262 nennt einen "Archidiaconus Vallis Trusiane") bezeichnet werden. So hat der Bischof in Churrätien entsprechend dem römischen Kirchenrecht das Verfügungs- und Aufsichtsrecht über Kirchen und Klöster, über Stiftungen, Armenherbergen und das ganze Kirchengut. In den alemannischen Landen herrscht dagegen von Anfang an das Eigenkirchenrecht.

Das Nebeneinander zweier so gut wie selbstständiger Staaten währt nur ein Menschenalter lang - der fränkische Imperialismus unter Führung der Karolinger steht vor der Tür. Als eine Art Gegenpol zu den Klostergründungen St. Gallen und Reichenau entsteht zwischen 735 und 740 das Kloster Pfäfers, welches seinerseits als rätoromanisches Kloster ein Zentrum der nationalen Kultur Rätiens wird. 806 n.Chr. führt Karl (der Große) die fränkische Grafschaftsverfassung in Rätien ein: als Graf wird Hunfrid, ein Mann aus dem Kreis der Hofaristokratie, bestellt. Nach Hunfrid gibt es „einen fränkischen Minister im Drusengau, der vor allem zu seinem persönlichen Vorteil amtierte“ (siehe Grabherr in Geschichte Vorarlbergs, Seite 31).

Die Einführung der fränkischen Grafschaftsverfassung bedeutet den Untergang des rätischen Staates: Graf Hunfrid konfisziert das rätische Staats- und Kirchengut. Rätien gehört wie Alemannien zum ostfränkischen Reich. Rätiens alte Verfassung wird nie mehr wieder hergestellt. Mit den Niederlagen von 841 n.Chr. verliert König Lothar Rätien und Alemannien wieder an König Ludwig den Deutschen. Ludwig will teilen - dazu braucht es eine Bestandsaufnahme der Reichsgüter: das ist die Geburtsstunde für das [[Rätische Güterverzeichnis]] (RU) von 842. Es wird so zum Zeugnis für die großen Umwälzungen und Enteignungen; viele geistliche und weltliche Würdenträger wurden gestürzt, ihre Posten Anhängern Ludwigs übergeben. Manche Bemerkungen im rätischen Güterverzeichnis, das knapp nach diesem Umsturz aufgenommen worden ist, deuten auf verheerende Kämpfe zwischen beiden Parteien.

Das "Ministerium in pago vallis Drusianae" bringt im Rätischen Güterverzeichnis, auch Reichsguturbar (RU) genannt, die nachstehenden Walgau-Gemeinden (villae) zur Kenntnis:

  • Frastanz (Curtis Frastinas)
  • Beschling (Bassiningas) gehört später zu Nenzing
  • Satteins (Sataginis)
  • Nenzing (Nanzingas)
  • Schlins (Scliene-Scline)
  • Röns (Reune)
  • Schnifis (Sannuvio)
  • Düns (Tunia)
  • Thüringen (Turingos)
  • Bludesch (villa Pludassis) mit einem [[Königshof (curtis dominica)]]
  • Göfis (Sagauio)
  • Nüziders (Nezudere) mit einem Königshof (curtis dominica)
  • Ludesch (Lodasco)

Das sind alle Gemeinden innerhalb des Walgaues mit Ausnahme von Beschling, das zu Nenzing gehört, die auch heute bestehen. Bereits ausserhalb des Walgaues liegen Feldkirch (Feldchirichun) im Westen sowie Bludenz (Pludono) und Bürs (Puire) im Osten.

Mit dem Rätischen Güterverzeichnis von 842 beginnt die aufgezeichnete, d.i. die nachlesbare Geschichte der Walgaugemeinden. Bis dahin gibt es die Räter und Kelten, die den Walgauer Boden nicht nur betreten, sondern auch bearbeitet und bewohnt haben. Nur finden wir darüber keine Unterlagen, keine Urkunden, ebenso keine Bodenfunde und auch keine Denkmäler aus dieser Zeit. Es ist ein Glücksfall, dass es dieses erste Besitzverzeichnis - das Reichsguturbar von 842 (RU) - überhaupt gibt.

Aus fränkischen Beamten-Grafen werden bis zum Ende des 10. Jahrhunderts die Udalrichinger („Ulriche“), die als erbliche Landesherren ein eigenes Fürstentum aufbauen. Das Ende der Burkarde ermöglicht den seit 883 herrschenden Ulrichen den Aufstieg zu „Grafen von Rätien“. Dann beginnt mit dem Tod Rudolfs, Graf von Bregenz, das Geschlecht der Montforter, die lange Zeit hindurch die Geschichte Vorarlbergs prägen sollten. Graf Hugo von Tübingen ehelicht die Tochter von Graf Rudolf und legt sich den Namen „Montfort“ zu.

Die Montforter hatten das Erbe der Ulriche angetreten und blieben durch fast vier Jahrhunderte an der Macht, wenngleich sie durch Teilung, Verpfändung und Verkauf nicht immer gerade mit bestem Geschick agierten. 1258 kam es nach dem Tod von Hugo II. zur Teilung zwischen Montfort und Werdenberg. Der Walgau gehörte nunmehr zu Werdenberg und blieb Montfort verschlossen. Kaum zehn Jahre später teilten die drei Söhne von Hugo II. ihr Land und Erbe nochmals unter sich und setzten damit die gleichen Zerfallserscheinungen fort, die schon früher die Herrschaft der Grafen von Bregenz ständig geschwächt hatten. Sie gerieten mehr und mehr in die Rolle bloßer Satelliten der Mächtigen (zB König Rudolf von Habsburg), an die sie schließlich Land und Leute verloren. 1309 fassten die Habsburger mit dem Erwerb der Herrschaft Gutenberg erstmals Fuß in den montfortischen Stammlanden. Das Bündnis 1337 der Habsburger mit den Grafen von Montfort-Feldkirch ist der direkte Weg zum ersten habsburgischen Erwerb in Vorarlberg, der Feste Neuburg im Jahre 1363. 1394 verkauft Graf Albrecht von Werdenberg-Bludenz sein Land an Österreich, 1395 folgt der Verkauf der Vogtei Rheintal und 1397 der Verkauf von Jagdberg. Die Herrschaft Sonnenberg wird 1474 von Habsburg/Österreich erworben. Damit ist ganz Südvorarlberg - aber nicht der ganze Walgau - alleiniges Herrschaftsgebiet der Habsburger einschließlich Sonnenberg und Jagdberg. Nur die kleine Herrschaft Blumenegg bleibt übrig. Für die Blumenegger sollte der lange Marsch nach Österreich aber noch mehr als 300 Jahre dauern ....

Burgen - die besonderen Wohnhäuser des gehobenen Standes - wurden mit Fron (Arbeitspflicht) der unfreien Bewohner, aber auch mit (bezahlten) Knechten errichtet. Bevorzugte Burgenplätze sind entsprechend sichere Anhöhen in steiler Lage, ebenso alte Volks-Fluchtplätze oder frühe Siedlungsreste. Das gilt auch für alle Burgen im Walgau, auch für Blumenegg. Dieses galt, als eine in sich abgeschlossene, mit niederer Gerichtsbarkeit ausgestattete und von den Burgherren auf Schloss Blumenegg geleitete "Grafschaft im Wallgau“ als ein wichtiger Bestandteil der Montfort-Werdenbergischen Grafschaft. Äußere Veranlassung, nicht innere Größe und Bedeutung führten das kleine Land nicht in die Herrschaft der Habsburger, sondern zur reichsunmittelbaren Stellung (nach Grabherr, Herrschaft Blumenegg, Seite 36).

Die Napoleonischen Feldzüge erreichten mit dem Walgau auch die freie Reichsherrschaft Blumenegg, die „von den kriegführenden Parteien wie ein erobertes Land behandelt wurde“ (siehe Pfarrer Zehender, Pfarramt Ludesch ~ 1890). Der Friede von Lunéville 1801 versetzte nicht nur dem alten Deutschen Reich den Todesstoß, sondern führte auch den Untergang Weingartens herbei. Gemäß Reichsdeputationshauptschluss vom 26.9.1802 zu Regensburg fiel das Reichsstift Weingarten mit seinem gesamten Herrschaftsgebiet - auch Blumenegg gehörte dazu - dem Prinzen Wilhelm-Friedrich von Oranien-Nassau zu; St. Gerold ging an das Haus Oranien-Dillenburg. Beide Oranierhäuser waren norddeutsche, protestantische Fürsten. Noch im Herbst 1802 nahmen die neuen Herren Blumenegg in die Pflicht. Doch Habsburg-Österreich erwarb mit Kaufvertrag vom 23.6.1804 die reichsfreie Herrschaft Blumenegg und St. Gerold.

Von der Industriegesellschaft zur Jahrtausendwende

Mit dem Erwerb von Blumenegg wurde der Walgau wieder zu einer einheitlichen, geschlossenen Region unter gleicher Führung. Allerdings waren die Erwartungen der Blumenegger für eine Heimat in einem großen und beständigen Reich wohl überzogen, denn die österreichische Herrschaft hatte kaum begonnen, als die nächsten Veränderungen den Walgau - und ganz Vorarlberg - erreichten: die bayerische Herrschaft begann am 13. März 1806. Sie wurde von der Bevölkerung mehr als Besatzung empfunden - sie war für die Blumenegger so viel anders als das bisherige und lange Gewohnte aus der Zeit Weingartens. So kurz das bayerische Regiment auch währte, so einschneidend wirkten die getroffenen Neuerungen. Begrüsst wurde, dass die Frondienstpflicht für eine gewisse Zeit ausgesetzt wurde. Doch die Gnos-Gerichte der Herrschaft in Tal und Berg wurden aufgehoben; die richterliche Gewalt und ebenso die administrative Verwaltung wurde dem königlich-bayerischen Landgericht Sonnenberg-Nüziders übertragen und alle Landgerichte dem Appellationsgericht in Memmingen unterstellt. In den Vorarlberger Gemeinden wurde die Normalschule eingeführt sowie ein neues Gemeindegesetz und eine Armenregelung (Armenfonds) geschaffen. 1806 erfolgte die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht. Das Recht der Steuereinhebung ging verloren, die Gemeindeautonomie wurde beseitigt. Die Erhebung von 1809 gemeinsam mit Tirol blieb erfolglos. So blieb am Schlusse nicht nur für Blumenegg alles beim alten Zustand. Erst als die Macht Napoleons 1813 in der Schlacht bei Leipzig gebrochen und Bayern 1814 Vorarlberg wieder an Österreich abgetreten hatte, konnte am 7. Juli 1814 in einem feierlichen Festakt im Bregenzer Rathaus Vorarlberg und damit auch Blumenegg von Habsburg-Österreich wieder in Besitz genommen werden.

Im Rückblick auf die „bayerischen Zeiten“ darf nicht übersehen werden, dass trotz vieler Fehler und übereilter Reformversuche auch Fortschritte gemacht wurden, die nicht ohne weiteres damals als solche gesehen wurden: Gleichheit vor dem Gesetz, Freiheit des Gewissens, Neuregelung des Armen- und Gesundheitswesens, Ausbau des Schulwesens und Einführung des Katasters. Als Erbe der bayerischen Herrschaft blieb die Einteilung in die sechs Gerichtsbezirke und die Regelung der Gemeindegrenzen.

Mit der neuerlichen Übernahme Blumeneggs durch Habsburg-Österreich wurden zwar weder Frondienste geleistet noch in Form einer Ablösung bezahlt. Erst mit Datum 16.10.1838 wurde dieser nur im Gebiet Blumenegg bestehende Zustand der Frondienstpflicht endgültig aus der Welt geschafft und damit die letzten Reste der ehemaligen Leibeigenschaft getilgt. Die Blumenegger waren jetzt den Walgauern "gleich".

Erst jetzt eröffnete sich die Möglichkeit, durch unselbstständige Arbeit, aber ohne Fron für die Herrschaft, eine eigene Arbeitswelt zu begründen: Fabriken entstanden - aus „Fronleuten“ wurden „Fabrikler“, soweit sie nicht selbst über ausreichende landwirtschaftliche Flächen verfügten. Diese waren in den entsprechenden Größenordnungen jedoch anderen vorbehalten, denn sie - die Fabrikler - hatten nur ihre Hausbündt und die schon früher von der Herrschaft freigegebenen Nutzflächen wie etwa die „Neugüter“, die „Länder“ (Hanfländer) und die „Plätze“. Aber auch das galt nur für die „Eingeborenen“ - der Zustrom der Bewohner aus anderen Regionen wurde daran nicht beteiligt. Handwerker - oft aus einer bisherigen Fronarbeit entstanden - gab es jetzt mehr, denn auch die Bedürfnisse für Wohnen und Leben, für landwirtschaftliche Tätigkeiten wie für den alltäglichen und bürgerlichen Gebrauch waren jetzt gefragt. Sie entwickelten sich aus diesem Umfeld heraus in einer Art Eigendynamik und brachten dem Meister auch Ansehen und bescheidene Einkünfte. Damit hatte das Wirtschaften begonnen ....

Die Walgauer Wirtschaftswelt ist an der Wende vom achtzehnten zum neunzehnten Jahrhundert noch eine rein landwirtschaftlich geprägte und herrschaftlich geführte Gemeinschaft. Mit der Industrialiserung der Textilwirtschaft in den frühen Dreißigerjahren des neunzehnten Jahrhunderts ändert sich das Bild: da sind die arbeitskräftesuchenden Fabriken auf der einen Seite und die der Frondienste entwöhnten Untertanen auf der anderen Seite. Was im Bereich der Städte Feldkirch und Bludenz mit der fabriksmäßigen Textilverarbeitung beginnt, setzt sich fast gleichzeitig innerhalb des Walgaues an mehreren Standorten fort: Spinnerei, Weberei, Färberei und Veredlung drücken in Thüringen und Gais, in Nüziders, Nenzing und Frastanz Dorf und Landschaft ihren Stempel auf. Für die nicht-landwirtschaftliche Wohnbevölkerung erwächst statt des Frondienstes die hochwillkommene Fabriksarbeit - denn sie bringt erstmals anstelle einer Art Naturalentlohnung geldwerte Leistungen. Der Fabrikler hat nach wie vor nicht viel, aber dennoch mehr als früher: er hat einen "Verdienst", ein echtes wenn auch beschwerliches Arbeitseinkommen. Bäuerliches Leben und Handwerksberuf bedeuten für den einen Besitz und damit einen gewissen Vermögensbestand, für den anderen Facharbeit und Ansehen zugleich. Des "Handwerks goldener Boden" wird auf dem Land zwar nicht allzu sehr strapaziert - doch in den Städten ist das anders. Sie alle lernen Bildung in der ein- oder zweiklassigen Volksschule; für mehr Lernen und für mehr Bildung bedarf es großer Entbehrungen. Pfarrer, Vorsteher und Schulleiter sind die für das Dorf wichtige Größenordnung; die Kinder werden noch viele Jahrzehnte lang das ehrerbietige "Ihr" zu ihnen sagen ...

Herrschaften wie früher gibt es nicht mehr, Demokratien sind kaum sichtbar und die Zugezogenen aus dem altösterreichischen Trentino brauchen Zeit, um sich zu integrieren; da gibt es Gemeinden, bei denen zur Jahrtausendwende jeder Vierte oder Fünfte zu den "Migranten" zählt. Der Erste Weltkrieg, von dem aber noch niemand weiß, wird das ändern; der Zweite Weltkrieg wird noch ganz andere Änderungen bewirken, die das Vorstellungsvermögen der nunmehr "Eingesessenen" beinahe überfordern werden. Bis dahin bleibt der Walgau noch immer eine Landschaft der Klein- und Mittelbetriebe, allerdings mit einer unbestreitbaren Dominanz der großen Textilwirtschaft.

Die wirklich „Großen“ liegen außerhalb der Gemarkungen der Walgaudörfer, die noch nicht zur Marktgemeinde geworden sind. Diese Welt der Klein- und Mittelbetriebe ist eine recht bunte und ebenso vielfältige, oft schwer überschaubare Welt: sie ist jedoch kein globales Ereignis. Sie bleibt mit ihren Wurzeln am vertrauten Boden, sie versucht sich natürlich auch im Neuen - aber Tradition ist doch eher groß geschrieben. Sie hat manchmal einen langen Bestand als Familienbetrieb durch Generationen hindurch.

Diese Welt der Klein- und Mittelbetriebe ist gekennzeichnet, dass Professionelles und Privates oft miteinander verschränkt sind: ökonomisches Kalkül und soziales Verhalten sind nicht scharf voneinander getrennt. Das schafft einerseits ungeheure Motivation und Kraft für das Betriebsleben, andererseits sind auch schwierige Situationen durchzustehen: die mangelnde Trennung von privaten und geschäftlichen Interessen hat so manchen Betrieb ruiniert. Das gilt auch für die Neuen, die ebenso unterschiedlich herangewachsen sind und ihre Gründerzeit überstanden haben. Da ist viel Persönliches darin mit viel Hoffnung und ebensolchem Engagement, aber auch mit Frust über das Unvermögen und die zu späte Erkenntnis lange wirkender Wirtschaftsgesetzmäßigkeiten. Kommt die Ungunst der Stunde dazu oder ein besonderes oder überragendes Ereignis, eine Fehleinschätzung oder zu viel Überheblichkeit, so ist dies geeignet, den Anlass zum vorläufig letzten Schritt zu geben. Manches und mancher ist im Konzert der Großen und der Globalisierung nicht mehr gefragt. Doch auch Großes fällt - aus den verschiedensten Gründen - dem Zahn der Zeit oder dem Biß der Konkurrenz zum Opfer: Ganahl/Frastanz, Getzner/Nenzing, Degerdon/Gais und Kastner/Thüringen sind Beispiele - oder Marksteine - dafür. Delunamagma ist - hoffentlich - ein Schlußpunkt. Eine unverkäufliche Lungenheilstätte weckt nur Erinnerungen, aber keinen Käufer. So bleibt die Walgaugeschichte auch zur Jahrtausendwende immer noch lebendig.

Verschiedenes

  • Viele Gemeinsamkeiten (vgl. Elementa-Veröffentlichungen, Walgau-Lesebuch, Veröffentlichungen der Rheticus-Gesellschaft, des Geschichtsvereins Bludenz, Dorfbücher usw.)
  • Burgen als Veranstaltungsorte (z.B. Jagdbergspiele) und Kriege
  • Fossilien (Lorüns)
  • Unterwasserarchäologie Schwarzer See / Satteins, April 2009
  • Bludenz, Kleiner Exerzierplatz - Mai 2009
  • alte Urkunden
  • LEADER-Projekt Burgenweg Schwarzenhorn (z.B. Workshop Trockenmauerbau) u.a.
  • Sagenweg Schnifis
  • Laurentius-Jubiläum
  • sehr viele lokale Veröffentlichungen
  • Aufnahme und Untersuchung alter Heuhütten (G’mächle) durch Archiv Gemeinde Nenzing (Exkursionen 2009)
  • LEADER-Projekt Artenne Nenzing (Plattform für Kunst- und Kultur im ländlichen Raum, Schwerpunkt: kleinbäuerliches Kulturerbe der Region Walgau)

Fussnoten

  1. Geschichte Vorarlbergs, Seite 9 ff
  2. siehe Strabo 4,6,9 p. 206