Was ist Identität - Wir-Bewusstsein

Wir-Bewusstsein? Warum bin ich ein/e „WalgauerIn?“ Der Walgau und seine Sonderstellung in Vorarlberg

Eine Suche nach Identität und Geschichtsbewusstsein

  • Unter Identität versteht man das Zugehörigkeitsgefühl und –wissen eines Individuums und/oder einer sozialen Gruppe zu einer bestimmten kulturhistorischen Gemeinschaft: Staat, Land, Region, Ort.
  • Identitätsstiftend ist die Vorstellung und das Bewusstsein von Unterschied/Andersartigkeit von und zu anderen Individuen/Gruppen/Räumen. Eine große Bedeutung besitzen dabei natur- und kulturgeschichtlich Besonderheiten.
  • Identität vermittelt Sicherheit, Geborgenheit, Orientierung und „Heimatgefühl“ in einer immer mehr globalisierten unübersichtlichen Welt. Sie besitzt das Potential zu sinnvoller rationaler Zusammenarbeit und Selbstbehauptung.



Die Sonderstellung des Walgaus in Vorarlberg – Zusammenfassung

  • Geologische Grenze zwischen Europa und Afrika, West- und Ostalpen
  • Bronze- und eisenzeitlicher Zentralraum
  • Mittelalter

Mittelpunkt rätoromanischer Kultur Wiege des mittelalterlichen Christentums und der Schriftlichkeit Urgeschichtlich-mittelalterlicher Festungs- und Burgenraum Konfliktzone zwischen Schweiz und Habsburg: Kriege

  • Industrielle Pionierzone
  • Ethnokultureller und sozialer Mischraum: Welschtiroler Einwanderer

Zeugen der Eiszeiten

Die letzte Eiszeit, die Würmeiszeit (115.000-10.000), wurde im Walgau durch Niederländer Forscher umfassend untersucht. Das Tal ist überwiegend eiszeitlich geprägt. Es gibt vielfältige Hinweise auf den mächtigen, bis auf 1400 m Höhe reichenden Ill- und die Seitentalgletscher vor allem aus dem Ende der letzten Eiszeit (vor 18-17 tausend Jahren).

zwischeneiszeitliche (Riß-Würm) Konglomerate im Gamperdonatal und in der Bürser Schlucht -> Meng und Alvier

Eisrandsee Gasserplatz -> Göfis

Gletschertopf am Ambergtunnel -> Göfis

Eisrandterrassen Gampelün-Gurtis -> Galina

Hängetäler – Randmoränen – Findlinge

(Lit.: Friebe. Keller B,. Krieg B. Simons. Wanner)



Steinzeit und Bronzezeit

Der Walgau ist das urgeschichtlich am besten erforschte Gebiet Vorarlbergs. Wir kennen etwa 13 prähistorische Fundstellen. Diese stammen aus der bronzezeitlichen Urnenfelderkultur (ca. 1300-800), der frühen Eisenzeit-Hallstattzeit (800-500) und der späten Eisenzeit-Latènezeit (500—30).

Hier lebten nach dem Ende der letzten Eiszeit, schon in der mittleren Steinzeit (6./5. Jahrtausend) mobile Jäger und Sammler.

Seit der Bronzezeit (ab ca. 2000) gab es im Walgau eine Bauernkultur mit Gehöften und kleinen Siedlungen. Da der Talboden ständig überschwemmt wurde und versumpft war, lebten die unbekannten Walgauer „Ureinwohner“ vor allem auf der sonnenreichen Nordseite in Höhensiedlung. Diese dienten in Kriegszeiten auch als Fluchtanlagen. Der Walgau weist somit eine viertausend Jahre lange Siedlungskontinuität bis heute auf.

Die Menschen pflegten Kulte und Religion: Auf der Heidenburg bei Göfis gab es einen bronzezeitlichen und auf dem Scheibenstuhl bei Nenzing einen eisenzeitlichen Brandopferplatz. Das einzige Gräberfeld (Urnenfelderzeit) fand man bei Bludenz.



Räter und Kelten der Eisenzeit

Der Walgau war ein bedeutendes inneralpines Verkehrs- und Transitland. Vom Rheintal über Rankweil-Göfis führte ein Weg ins Montafon und nach Tirol - und über den gletscherfreien Rätikon ging es nach Graubünden. Dabei spielte das Gamperdonatal mit seinen Pässen eine große Rolle.

In Bludenz-Unterstein lag ein bedeutender inneralpiner Umschlagplatz für Eisengeräte und Waffen aus der Latènezeit.

In der späten Eisenzeit trafen in Vorarlberg und auch im Walgau zwei Kulturen aufeinander: Von Norden über den Bodensee und das Rheintal kamen die Kelten oder Gallier. Die ansässigen Bauern wurden von den Römern Räter genannt und in die gleichnamige Provinz eingegliedert. Über ihre Herkunft und Sprache gibt es nur Vermutungen. Die Räter bildeten auch unter der römischen Herrschaft bis ins frühe Mittelalter den wichtigsten kulturellen Bevölkerungsanteil. (Lit.: Hild. Krause. Rhomberg/Gamon. Stadler. Schmid. Wischenbarth)

Vorromanisch und Rätoromanisch

Das Rätoromanische war im Mittelalter die dominante Volkssprache im südlichen Vorarlberg - im Walgau bis zum 14./15. Jahrhundert. Die Stadtgründungen Feldkirch und Bludenz und die Ansiedlung der Walser im 14./15. Jh. führten jedoch zum Erlöschen dieser romanischen Sprache. Alemannisch setzte sich durch.

Der Walgau wurde um Christi Geb. Teil des römischen Reiches -> Keltisch

Er gehörte zur Provinz Rätien. Man sprach rätisch und keltisch -> Rätisch

Das Rätoromanisch entstand aus der lateinischen Verwaltungssprache -> Lateinisch

Die meisten Walgauer Flurnamen sind rätoromanisch

Ortsnamen im Walgau im 9. Jhd.

(Lit.: Wanner/Jäger. Mayr B. Tiefenthaler)

Es gibt auch etliche Gewässer- und Ortsnamen aus der vorrömischen Eisen- bzw. Bronzezeit. Sie weisen auf die lange vorgeschichtliche Besiedlung des Walgaus hin: Gewässer: Ill, Alfenz, Lutz, Samina Ortsnamen: Göfis, Satteins, Röns, Schnifis, Schlins, Bludesch, Ludesch, Nüziders, Bludenz

Christianisierung und frühmittelalterliche Kirchen

Der Raum um Vinomna (Rankweil) und besonders der Walgau, Teile des „Vallis Drusiana“, waren schon im frühmittelalterlichen Vorarlberg Zentren des rätoromanisch-fränkischen Christentums. Sie gehörten vermutlich seit der Mitte des 6. Jahrhunderts zum Bistum Chur.

Eine verlässliche Anzahl von Sakralbauten (Kirchen bzw. Kapellen) ergibt sich erst aus dem Reichsgüterverzeichnis (Reichsurbar) des Jahres 842/43: Gotteshäuser lagen in Nenzing, Satteins, Schlins, Schnifis (zwei), Bludesch, Thüringen, Ludesch, Bürs und Bludenz. Vermutlich gab es auch Kirchen/Kapellen in Frastanz, Beschling, Göfis und Nüziders. Sie waren ursprünglich überwiegend in kirchlichem Besitz, kamen jedoch im 9. Jh. in das Eigentum weltlicher fränkischer Adeliger. Das Christentum hatte sich somit im 9. Jahrhundert endgültig gegenüber den lokalen und staatsrömischen Götterkulten durchgesetzt.

Zwischen 1982 und 1984 fanden Grabungen unter der heutigen Pfarrkirche St. Mauritius in Nenzing statt. Man konnte insgesamt elf Bauphasen nachweisen, die älteste könnte auf das 5. Jahrhundert zurückgehen. Außerdem entdeckte man fünf Gräber, vermutlich um 600 angelegt. Ob es sich beim ersten Bau um einen christliche Kapelle handelte, ist fraglich: Denn erst unter Kaiser Justinian setzte sich Mitte des 6. Jhs. das Christentum als Staatsreligion durch. Und der irische Mönch Columban stieß 610 in Bregenz auf „heidnische“ Ablehnung. Die erste Anlage könnte auch ein „heidnischer“ Kultbau gewesen sein. Christen errichteten ihre Kirchen häufig auf solchen Vorgängeranlagen.

Der Walgau war als Missionierungs- und Wirtschaftsraum im Norden der rätischen Grafschaft von Interesse. Hier hatten nämlich die Schweizer Klöster Pfäfers, Schänis, Einsiedeln und das Bistum Chur Besitzungen. Die Hauptkirche des Tales war St. Viktor und Markus in Nüziders. Sie stammt spätestens aus dem 9. Jahrhundert und besaß einen königlichen Hof. Nüziders war Hauptort im östlichen Walgau. Diese „Mutterkirche“ umfasste die gesamte Kulturlandschaft von Schlins bis Lech am Arlberg und war beteiligt an der Urbarmachung und Besiedlung des Klostertales im 12. Jahrhundert. (Lit.: Jussel. Rhomberg. Kaltenhauser. Spalt. Ulmer B. Wanner A)

„Walgau“ ist gleich Vorarlberg

Der Süden Vorarlbergs ab Götzis gehörte im frühen Mittelalter (5.-10. Jh.) zur Grafschaft Churrätien. Dieser Verwaltungsraum wurde als „Vallis Drusiana“ bezeichnet. (Wortdeutung umstritten)

Grafschaft Churrätien- Unterrätien 1.“Vallis Drusiana“ = Vorderland bis Götzis + Walgau + Großes Walsertal, Klostertal, Montafon 2. „In Planis“ (Gebiet um den Walsensee)

Walgau = das Gebiet der Welschen (Romanen), der Churwelschen oder Kauderwelschen, der Rätoromanisch-Sprachigen. Die Bezeichnung „Walgau“ findet sich erstmals 1123, 1249.

In der 1550 in Basel erschienenen „Cosmographia“ heißt es: „Walgow hat nicht von den Alemaniern den Nammen/ sondern von den Rhetiern / die wir Walen nennen / wie auch Walenstatt (…) hat aber den alten Nammen behalten Walgöw …“

Ab dem 13. Jh. kam für „Vallis Drusiana“ die Bezeichnung „Walgau“ auf. Dieser umfasste den Süden Vorarlbergs mit den 5 Herrschaften = das „Land im Walgau. Erst um 1400 bezeichnet „Walgau“ auch die heutige Tallandschaft, vor allem die Grafschaft Blumenegg. „Walgew“ ist bis Anfang des 17. Jhs. die gebräuchliche Bezeichnung für alle „Herrschaften vor dem Arlberg“, auch „Adelberg, Arlenberg“, seit der Mitte des 18. Jh. „Vorarlberg“ genannt.

(Lit. Brunner, Niederstätter E F, Tschaikner A)

Frühes Schrifttum, Wirtschaft und Gesellschaft

Über das Drusental (vallis drusiana) und damit den Walgau besitzen wir aus dem 9. Jh. in Europa einzigartige sozioökonomische Geschichtsquellen (Urkunden):

1. Um 800 das Rönser Reliquienverzeichnis: Die älteste „Urkunde“ Vorarlbergs, ältester Lokalbezug in Österreich 2. Es folgen Urkunden aus dem Laienarchiv des Schultheißen Folcwin zwischen 817 und 825 und 3. schließlich das Besitz-, Einkünfte- und Güterverzeichnis (Urbar) des Reiches von 842/43

Folcwins Amtssitz als Beamter des rätischen Grafen war Vinomna= Rankweil. Sein Zweitwohnsitz war Schlins (Scliene). Zwei geistliche Urkundenschreiber, Drucio und Andreas, kamen vermutlich aus Schlins.


Ritter- und Grafenburgen

Der Walgau weist eine große Burgendichte auf – Minimum acht. Die meisten Anlagen finden sich auf der Tal-Nordseite. Es gab zwei Burgtypen: drei große Grafenburgen und fünf kleine Ritterburgen. Sie entstanden im Hohen Mittelalter (10.-13. Jh.) unter den Montforter und Werdenberger Grafen und ihren Lehensrittern (Ministeriale=Dienstleute) an strategischen Anhöhen.

Die großen Burgen mit durchaus deutschen Namen waren im 13./14. Jahrhundert Ausgangspunkte für die sprachliche Alemannisierung des überwiegend von Rätoromanen besiedelten Walgaus. Im 14./15. Jahrhundert kamen sie an das Haus Habsburg, Welsch-Ramschwag (Nenzing) bereits im Jahr 1360 - es war die erste Habsburger Erwerbung in Vorarlberg. Eine Ausnahme war die Burg Blumenegg: Ab 1417 gehörte sie zum Deutschen Reich und kam erst 1814 an Österreich.

Die Burgen waren seit dem 15. Jahrhundert wiederholten Zerstörungen ausgesetzt. Solche erfolgten erstmals in den Appenzellerkriegen im Jahr 1405 durch rebellische und antihabsburgische Feldkircher und Walgauer Bauern des „Bundes ob dem See“. Es betraf die Burgen Sonnenberg, Jagdberg, Rosenberg (Bürs) und Welsch Ramschwag. Das Aufkommen der Pulvergeschütze um 1500 ließ die Burgfestungen bedeutungslos werden. Der endgültige Verfall der Anlagen geschah im 18. Jahrhundert. Sie dienten auch als Steinbrüche. Walgaus Burgen sind heute allesamt Ruinen.

Grafenburgen: Jagdberg-Schlins, Blumenegg-Thüringerberg, Sonnenberg-Nüziders Ritterburgen: Sigberg-Göfis, Horwa-Satteins, Rosenegg-Bürs, Frastafeders-Frastanz, Ramschwag- Nenzing

(Lit.: Huber, Ulmer A, Niederstätter A, D)



Fussnoten