Dossier: Flurnamen im Walgau
Kurz eingestimmt
Braschla, Bromarschi, Brola, Büntabrünna, Dabalada, Diola, Elagrua, Fahn, Fäscha, Fislis, Fabelina, Flana, Fuschgel, Galonga, Gardina, Gonga, Gulm, Ifelstära, Ifilar, Kamizan, Klus, Moggamad, Nohla, Oberglot, Panitzla, Quadra, Rifa, Roza, Sigele, Tomma, Trutsch, Vanella, Viola, ...
Was soll diese Aufzählung zeigen? Exotische Vornamen? Bezeichnungen für ungewöhnliche Rezeptzutaten?
Dies alles sind Beispiele für bestehende Flurnamen im Walgau.
Hintergrundinformationen
Flurnamen in ihrem Sinngehalt zu erfassen - so schreibt Guntram Jussel im "Dorfbuch Bludesch" - bedeutet, in der geschichtlichen und in der sprachlichen Grundlage nachzuforschen. Die geschichtliche Seite (soweit sie uns in Urkunden zugänglich wird) führt uns noch nicht gleich in die Zeit ihrer Entstehung zurück, denn "alte Namen" sind noch vor der schriftlich dokumentierten Zeitepoche in Gebrauch gekommen, ohne dass sie gleichzeitig auch in urkundlicher Form überliefert worden sind. Die sprachliche Seite bedeutet aber die Sprachform jener Zeit und diese Sprachform hat sich ebenfalls im Gebrauch und Zeitablauf weiter entwickelt und verändert. So gehören beide "Hilfsmittel" zusammen, um diese frühen Namen - als Orts-, Flur- und Familiennamen - zurechtrücken zu können. (Quelle: Dorfbuch Bludesch)
Eine wichtige Schrift für die Walgauer Flurnamen ist das "Vorarlberger Flurnamenbuch" mit Band 3, der Flurnamensammlungen Walgau - gesammelt und bearbeitet 1977 von Werner Vogt.
Seit 2014 beschäftigen sich zwei Experten, Univ.- Prof. Dr. Guntram Plangg und Prof. Werner Vogt mit der Deutung der Flurnamen für den ganzen Walgau. Bei diesem Projekt der Regio Im Walgau diskutieren die Sprachforscher ihre Forschungsergebnisse, die sie zuvor in Heimarbeit erarbeitet haben. Guntram Plangg, ein gebürtiger Bürser, hatte den Lehrstuhl für Romanistik an der Universität Innsbruck inne und wohnt auch heute noch in Tirol. Werner Vogt aus Hard erstellte in den Jahren 1960 – 90 für alle Gemeinden des Landes erstmalig Flurnamenkarten. Die beiden Fachleute arbeiten eng zusammen und können dank ihres Fachwissens manche Flurnamen deuten bzw. Korrekturen von Forschungsarbeiten aus früheren Zeiten vornehmen. Als erstes wurden die beiden Gemeinden Brand und Bürserberg untersucht. Ihre Deutungen (wie für Palüd, Zalim, Tschengla etc.) sind bei diesen beiden Gemeinden erhältlich.
Prof. Plangg / Prof. Vogt schreiben: Unsere Flurnamen haben vielfach keine erkennbare Bedeutung mehr, abgesehen von relativ jungen Benennungen wie Riedle, Alter Stafel oder I da Ränk. Wer kann noch etwas verbinden mit Namen wie Gleilefräscha (in Bürs gréielefrä:ža), Kogaloch oder Brunnaduala, deren Aussage im normalen Deutsch nur schwer wiederzugeben ist (etwa ‚Maiglöckchen-Grasrinne zwischen Felsen, Ablage für Tierkadaver, Brunnenmulde‘)?
Auch Walsernamen sind großteils deutsch, aber manche davon heute nicht mehr durchsichtig in ihrer Bedeutung. Ein Hungsack ‚Honigsack‘ war einst benannt als gute Bienenweide, eine Borstegg (weiblich: 1652 die Fahregg) ist ein mit Borstgras bedecktes Egg (mda. sächlich), eine Schluacht ist keine ‚Schlucht‘, sondern eine kleine, grasige Halde oder Duala; Namen wie Blaika (wo der Fels herausbleckt), Kellaböda ‚Kochlöffel-Böden‘, wals. Chella ( mit kleinen Mulden) sind eher verständlich. Ein Kuabüchl ist mda. Kúabühel, aber wals. Kúabiel oder Chuabl; Häta ‚Beerstauden‘ hört man selten (Montafon).
Weitgehend verdunkelt sind die vielen rätoromanischen Namen, die man gewöhnlich an der Betonung erkennt. Ein Fräschláng wäre deutsch ‚langer Fräscha‘, Manschrínes ein ‚Ahornberg‘ (Tiefenthaler), Armafíl wohl eine ‚Schafalpe‘ nach ALPE + OVILE ‚Schafstall‘, genauer eine Schafstall-Alpe. Das Glorifíel und Virglória enthalten offensichtlich GLAREA ‚Schotter, Bachkies‘, nach W. Vogt letzteres die Nenzinger Variante zu Glorifíel (Brand); älteres *Valglária ‚Kiestal, -tobel’ zeigt den frühen deutschen Wandel von -a- > -o-, aber auch die Walser Reduktion von unbetontem a zu i; dazu kommt eine sog. Dissimilation von l – l zu r – l, die Virglória ergibt.
Nicht zu trennen sind in vielen Fällen Flurnamen und Personennamen, die in der Regel Besitz anzeigen. Ruf- und Familiennamen haben naturgemäß keinen inneren Bezug zu dem bezeichneten Ort, womit jede Realprobe unmöglich wird. Wenn Tschöppis auf CIPPUS ‚Baumstrunk, Stock‘ zurückgeht, muss eine alte Stockrodung in dem fraglichen Gebiet auch möglich erscheinen, sonst ist die Deutung falsch. Bei Namen wie Strubälpele stellt sich die Frage, ob die kleine Alpe wirklich als strûb ‚rau, mit ruppigem Bewuchs‘ bezeichnet wurde – oder doch einem Strub (als Besitzer) gehört hat (mda. verstrublat ‚zerzaust, wirr‘). Die Antwort geben Urkunden: 1502 „Haus, Hof ... am Nenzingerberg gelegen genant Struben hoff so vormals von Hans Struben erkaufft“ (Vogt 3, 337).
Ganz ähnlich werden auch ältere Berufsbezeichnungen verwendet, etwa lat. PRESBYTER ‚Priester‘, rätorom. preir ‚Pfarrer‘, hier im Namen Galpafína: Im Sonnenberger Urbar ist es 1564 gallperfier, 1633 Galparfiel etc., die eindeutig auf rom. *Col prevéir ‚Pfarrbühel‘ hinweisen (vgl. H. Stricker 1976).
Schwieriger wird die Deutung, wenn die alten Belegformen divergieren wie bei Galtúrer 1590 Galtrurer, aber 1423 zu Galtheurer wurde – nach Galtür benannte Walser (Vogt 3, 134). Manchmal verlagert sich das Problem auf schwer durchschaubare Familiennamen wie Batlíner, zu dem in Nenzing Batlína gehört, nach Tiefenthaler von BOTT(A) + -ELLINA ‚kleiner Hügel‘. Tschétter kommt sicher vom Familiennamen, dieser ist aber mehrdeutig wie auch Tschohl, dazu fem. Tscholin als Wiesenname. Einfacher sind rom. Bárfla (zu Barbara), Beckawäldle (zu Beck ‚Bäcker‘), 1453 Cunratzberg †, Katórnes (zu CA(SA) + Satúrnus), Lúzibild (zu St. Lucius, Chur), Mánga (zu St. Magnus, Füssen) oder Schnetzer (zu Schnitz ‚Steuer‘) zu erklären. Trotz aller Bemühungen bleiben nicht wenig Fragen offen. (Quelle: G. Plangg und W. Vogt)
Beispiel Nenzing
(aus der Feder von Prof. Plangg / Prof. Vogt)
Was den Boznern der Ritten, ist in Nenzing Gamperdón(d), 1502 noch Gampretunen. Wenn man im Südtiroler Zentrum der sommerlichen Schwüle – früher verstärkt durch die Fieberdünste der berüchtigten Etschmöser – mit der hier aufkommenden Sommerfrische auf die nahen Bergmähder und Berghöfe zu entkommen versucht hat, so kann der Ortswechsel vom Talgrund hinauf auf die Maisäße und Voralpen auch als Erinnerung an die einst weit überwiegenden bäuerlichen Lebensgrundlagen verstanden werden. In einer Zeit, als Urlaub und Freizeit noch Fremdwörter waren (also vor den Weltkriegen), hat man die einfache Lebensweise, die das Heuen auf den Hochmähdern, Maisäßen und Alpen mit sich brachte, trotz gewisser Einschränkungen als freieres Lebens verstanden und geschätzt. Davon zeugen viele Lieder und Erzählungen, Schwänke und Theaterstücke. Manch schöne Erinnerung haftet an den Namen solcher Sommerquartiere, an Bergsiedlungen bis hin zu Alpdörfern.
Die schöne Alpe Gamperdón liegt im Nenzinger Himmel, für gläubige Menschen ein vielsagender Begriff voller Hoffnung und Seligkeit. Der Alpname Gamperdon ist konkreter, da steckt lat. CAMPUS als Grundwort drin, das nicht nur ‚Feld‘, sondern auch ‚Wiese, Mahd‘ oder ‚Brache, Weide‘ bedeuten kann (Dreifelder-Wirtschaft). Das Bei- oder Bestimmungswort PRATONE ‚große Wiese‘ im Namen verweist sehr deutlich auf ein Mahd, das geheut worden ist, um bei frühen Schneefällen Futter für die Tiere zu haben. Die gemeinsame Arbeit bei der Heuernte war dann auch häufig Anlass zu Geselligkeit, die man pflegte und die lange im Gedächtnis blieb.
Die Ladiner in den Dolomiten sagen paisc da gialzán für ‚Paradis‘ und meinen damit das Alpleben, dessen Alltag recht mühselig sein kann; man schätzte aber die einfache, naturnahe und gesellige Seite als Abwechslung und Aufbruch. Die Sprache trägt dem Rechnung, denn gialzán kommt von lat. GAUDIENDO ‚erfreuend, wundervoll‘, heute nur mehr selten gehört für ‚einzigartig; sagenhaft‘. Nach einer ähnlichen Form VOLIENDO ‚wollend, begehrend‘ ist unser mda. gern gebildet, im Montafon geera ‚(be)gehrend, mögend‘, das in der Verwendung dem rätorom. bugén, (gu)jent ‚gerne, mit Vergnügen‘ genau entspricht. Ob wir die Romanen oder diese uns Alemannen nachgeahmt haben, ist manchmal kaum zu entscheiden. Rätorom. avair jent ist ‚mögen, gern haben, lieben‘, also unser mögig (mit unmögig ‚zwider‘), es bedeutet ‚liebenswert‘, wäre deutsch aber eigentlich mögend (vgl. läufig, trebig ‚trabend‘ etc. als aktives Partizip).
Der von den Rätoromanen übernommene Wortschatz (man schätzt ihn auf gut 200 Wörter) verteilt sich sehr eigenwillig auf ganz bestimmte Sachgebiete und ist weit überwiegend „eingefärbt“, entweder heimelig oder – öfter – negativ. Viele Ausdrücke kommen aus der Kinderstube wie baafa ‚trensen‘, spúdera ‚spucken‘, rüüla ‚quengeln‘, príascha ‚heftig weinen‘, wíschala und gagga (Ausscheidungen). Wörter wie strähla, noora, tååra, sperza oder schnägara ‚nagen‘, sürpfla ‚schlürfen‘ sind umstritten und teilweise deutsch entwickelt. Wörter wie Graggle, Transchla, Schlärgga sind als Schimpfwörter noch immer üblich, aber entsprechend negativ konnotiert.