Demografie im Walgau
Der demographische Wandel in den Regionen und Gemeinden
… ist ein Veränderungsprozess, der langsam, komplex und irritierend ist (ein schleichender, nicht direkt wahrnehmbarer Prozess mit Auswirkungen in vielen Bereichen, wobei die Effekte zuerst einmal unklar bleiben), für den als Querschnittsthema keine Fachstelle direkt zuständig ist, wo für vieles fachliche Lösungen noch nicht gefunden sind, und wo politischer Druck von „oben“ (ein unattraktives Thema für die Politik) wie von „unten“ (Betroffene sind keine lautstarke Lobby) fehlt – kein Wunder also, dass die öffentliche Hand bisher nur zögerlich auf den demographischen Wandel reagiert (Mäding 2009).
Probleme / Herausforderungen
Auf der lokalen und regionalen Ebene lassen sich grundsätzlich vier Problemkreise des demographischen Wandels unterscheiden:
1. Zunahme / Abnahme der Gesamtbevölkerung, insb. aufgrund der großräumigen und kleinräumigen Binnenwanderungen (zwischen einzelnen Städten / Regionen, zwischen Stadt und Land usw.),
2. Alterung der Gesellschaft: Bis zum Jahr 2050 kommt es, auch im Walgau, zu einer Verdoppelung der über-60-jährigen und zu einer Vervierfachung der Hochbetagen (über 85 Jahr)
3. Heterogenisierung der Gesellschaft (d. h. wachsende Verschiedenheit in der Gesellschaft nach regionaler/ethnischer Herkunft, aber auch nach kulturellem/religiösem Hintergrund)
4. Vereinzelung (steigender Anteil der Einpersonenhaushalte).
„…Durchschnittswerte täuschen leicht über lokale Problemlagen hinweg. Was für die Region gilt, gilt nicht zwingend für die einzelne Stadt, was für die Stadt gilt, nicht für jedes Quartier. Jeder muss selbst und genau hingucken. Die Vielfalt der Konstellationen erschwert auch das Lernen von Vorreitern.“ (Mäding 2009: S. 34)
Es gibt starke regionale Unterschiede bzgl. der Auswirkungen des demographischen Wandels. Die Fachliteratur konzentriert sich dabei vielfach auf Abwanderungsgebiete, während im Falle der Region Vorderland-Walgau ein leichter Zuzug mit einer alternden Gesellschaft einhergeht („mehr, älter, bunter“). Folgende Herausforderungen sind beispielsweise hier zu bewältigen:
- Differenzierte Nachfrage nach zielgruppenspezifischen und altersgerechten Produkten und Dienstleistungen (Konsum, Mobilität).
- Anpassung sozialer Infrastrukturen (nicht nur Betreuung / Pflege, sondern auch Kultur, Vereine…).
- Veränderte Nachfrage nach spezifischen Verwaltungsleistungen (im Standesamt, Einwohnermeldeamt, Ausländeramt usw.) und personenbezogenen Infrastrukturleistungen (vom Kindergartenplatz bis zur Einäscherung)zur Alltagsbewältigung.
- Veränderte Nachfrage im Gesundheitssystem (auch von betrieblicher Seite).
- Vergesellschaftung von Dienstleistungen, die bisher im häuslichen Umfeld angeboten werden.
- Wachsende Wohnfläche pro Kopf.
- Rückgang an Auszubildenden und jungen Arbeitskräften (z.B. Lehrlingsmangel mit starken Unterschieden zwischen verschiedenen Betriebsformen und –zweigen, Brain-Drain).
- Notwendigkeit zur intensiveren Integration von Zugewanderten.
- Notwendigkeit zur Neugestaltung des bürgerschaftlichen Engagements.
- Gefahr demographischer Konkurrenzen in der Bevölkerung („Alt gegen Jung“).
- Mangelndes ‚Problembewusstsein‘ in der Bevölkerung (z.B. hinsichtlich der eigenen Alltagsbewältigung in der Zukunft).
Steuerungsansätze für die kommunale und regionale Ebene
„aktive“ Maßnahmen
Aktive Maßnahmen, die präventiv auf die Bevölkerungsentwicklung einwirken und vorbeugend negativen Folgen des demografischen Wandels entgegentreten oder diese zumindest abmildern sollen:
- Attraktive Kindertagesbetreuung, die das Nebeneinander von Familie und Beruf (bzw. Aus- und Weiterbildung) erleichtert.
- Berücksichtigung flexibler Nutzungskonzepte bei der Planung und Errichtung von Gebäuden (sowohl für Wohngebäude, die an verschiedene Lebenslagen angepasst werden können, als auch für öffentliche Gebäude, die mit einer Veränderung der Altersstruktur umgenutzt werden können).
- Förderung innovativer Projekte des Generationen-übergreifenden Zusammenlebens, der familienfreundlichen Gemeinde, der Mobilität und der Nahversorgung (im umfassenden Sinn verstanden).
- Zuzugshilfen (von der kurzfristigen Bereitstellung von Wohnraum über zusätzliche Integrationsangebote bis zu fördernden Mobilitäts- ‚Prämien‘ für Zuzügler).
- ‚Demographie-Check‘ für regional bzw. kommunal bedeutsame Vorhaben und Planungen, wie Standort- und/oder Investitionsentscheidungen (Bedarfsabschätzung und regionale Arbeitsteilung).
- Förderung des Wissenstransfers von Alt zu Jung, Alterszeit-Modelle in der Arbeitswelt.
- Zugang zu moderner Kommunikationstechnologie verbessern (Infrastrukturen, Anwendungen, Fähigkeiten).
„passive“ Maßnahmen
Passive Maßnahmen, die auf Entwicklungen reagieren:
- neue Beteiligungsformen (Integrations-, Jugend-, Seniorenbeiräte…).
- Anpassung von Leitungsnetzen an die veränderte Einwohnerzahl.
- Präventionsangebote für Senioren.
- Ausrichtung der Bettenzahl in Pflegeheimen an eine veränderte Nachfrage.
- Rückbau von Stadtquartieren aufgrund von Bevölkerungswegzug.
Instrumente zum Umgang mit dem demographischen Wandel
(eine Kurzbeschreibung und Auswertung findet sich in BLE 2012)
- Auswertung statistischer Daten,
- www.wegweiser-kommune.de,
- Leitfäden,
- Nachhaltigkeitscheck ESYS,
- Demografie-Monitoring,
- Zukunftscheck Ortskern-Entwicklung
- NENA Demografie-Rechner
- Demografie-Workshops für Kommunen
- Demografie-Konzepte,
- Masterplan Daseinsvorsorge,
- DemografieCheck und Coaching,
- Change Management,
- Demografie-Beauftragter,
- Participatory Rapid Appraisal,
- Bürgergutachten,
- Bürgerhaushalt
Quellen
Ausgewertete Quellen:
Bauer Hartmut (2009): Demografische Herausforderungen für die Kommunen – Einführende Problemskizze – In: Hartmut Bauer/Christiane Büchner/Olaf Gründel (Hrsg.): Demografie im Wandel. Herausforderungen für die Kommunen, KWI-Schriften Nr. 2, zweite, aktualisierte Auflage, Universitätsverlag Potsdam, S. 11 – 21
Mäding Heinrich (2009): Herausforderungen und Konsequenzen des demografischen Wandels für Kommunalpolitik und -verwaltung– In: Hartmut Bauer/Christiane Büchner/Olaf Gründel (Hrsg.): Demografie im Wandel. Herausforderungen für die Kommunen, KWI-Schriften Nr. 2, zweite, aktualisierte Auflage, Universitätsverlag Potsdam, S. 33-44
BMVBS / BBSR (Hrsg.): Ländliche Räume im demografischen Wandel. BBSR-Online-Publikation 34/2009. urn:nbn:de:0093-ON3409R142.
Steffen Maretzke: Vielfalt des Demografischen Wandels. Eine Herausforderungfür Stadt und Land. In: BBSR-Online-Publikation 06/2010. Hrsg.:Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR), Bonn, Dezember 2010.
Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung (2007): Gutachten zum demographischen Wandel im Land Brandenburg. Expertise im Auftrag des brandenburgischen Landtags.
BLE (2012): CHANCE! Demographischer Wandel vor Ort. Ideen – Konzepte – Beispiele. Herausgegeben vom Bundesverband der gemeinnützigen Landgesellschaften, Deutscher Landkreistag, Deutscher Städte- und Gemeindebund, Deutsche Vernetzungsstelle Ländliche Räume Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung.
Weitere Quellen:
Landesregierung Brandenburg, Demografischer Wandel in Brandenburg. Rahmenbedingungen, Konzepte, Handlungsempfehlungen, Werkstattbericht vom 24.5.2005.
BMASK (2009): Hochaltrigkeit in Österreich. Eine Bestandsaufnahme. Erarbeitet vom Büro für Sozialtechnologie und Evaluationsforschung (Josef Hörl, Franz Kolland, Gerhard Majce).
Maretzke, Steffen (2012):: Schrumpfend, alternd, bunter? Antworten auf den demographischen Wandel. In: DGD-Online-Publikation 01/2012. Hrsg.: Deutsche Gesellschaft für Demographie e.V. (DGD), Bonn.
Fischer Tatjana (2008): Alt sein im Ländlichen Raum – eine raumwissenschaftliche Analyse. Online-Fachzeitschrift des Bundesministeriums für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft
Neuschmid Julia (2009): Raumordnung im Kontext des Demographischen Wandels. Handlungsstrategien für eine zukunftsfähige räumliche Gestaltung angepasst an eine „alte Gesellschaft“. Diplomarbeit an der Univ. Wien.