Filialkirche Hl. Nikolaus in Bludesch-Zitz

Aus WALGAU WIKI
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Die frühe Christianisierung der Raetia prima im "Ministerium in pago vallis Drusianae" - Südvorarlberg und Walgau - geht zumindest in das 5. Jahrhundert zurück. 451 erscheint in Chur der Name eines Bischofs Asinio; ein Bischofsitz ist nicht denkbar ohne eine entsprechend große umliegende Kirchengemeinde. Daraus lässt sich - unabhängig von archäologischen Befunden - mit Fug und Recht ableiten, dass es in diesem Raum kirchliche Gemeinschaften geben musste, die ihrerseits über eine Kirche als sakralen Raum verfügten. Das ist durch die Grabungen 1982 für das 6. Jahrhundert in Nenzing nachgewiesen - und für Bludesch in jeder Hinsicht denkbar. Das rätische Güterverzeichnis von 842 nennt für Nenzing (Nanzingas) eine Kirche mit Zehent und ein herrschaftliches Grundstück (terra dominica); für Bludesch (villa Pludassis) wird eine bischöfliche Kirche mit Zehent, ein Königshof (curtis dominica) und eine Eigenkirche (in Cise villa) genannt. So gesehen, war villa Pludassis auch kirchlich bedeutender als Nanzingas.

Die Nikolauskirche an der den Hangfuß entlang führenden alten Landstrasse nach Thüringen liegt im Ortsteil Zitz von Bludesch: dieses Zitz ist das Cise villa im Rätischen Güterverzeichnis. Der Ortsname Zitz erscheint 842 zum ersten Mal; er findet sich später in verschiedenen Flurbezeichnungen und Besitzernamen wieder: 1322 einen Cuon von Zits, 1422 einen St. Gerolder Weingarten (St Gerold Wingart Zizer) oder 1514 einfach den Sytzer. Der Name ist längst nicht mehr gebräuchlich, doch ist er im Begriff "St. Nikolauskirche in Zitz" in die Kulturgeschichte eingegangen.

Die Baugeschichte der Nikolauskirche ist nicht leicht durchschaubar: es gibt die einzige - kurze und leider nicht dokumentierte - Grabung von 1966, die im Betraum eine Flügelmauer zutage gebracht hat. Davor liegt 1948/50 die Freilegung der um 1330 datierten Fresken, danach die mißglückte Turmrestaurierung von 1990/91. Erst die umfangreichen Trockenlegungs- und Restaurierungsarbeiten der Jahre 2002 bis 2007 bringt viel Licht in das Dunkel der Baugeschichte [1] aber trotzdem noch keine archäologische Klärung über die ältesten Fundamente der Nikolauskirche. Vorromanischer Wandputz weist zumindest in das 7./8. Jahrhundert; in eine noch ältere, antike Bautradition weisen zwei Schuh breite, in Lehmverband mit Rollkieseln bestehende Fundamente [2] die allerdings (noch) nicht ergraben wurden. Ein Vergleich mit St. Mauritius in Nenzing gestattet durchaus die Möglichkeit, dass die Nikolauskirche in ihrem Ursprung bzw Fundamenten zumindest gleich alt, wenn nicht noch älter ist, also in das 5. Jahrhundert datiert. Das kann jedoch nur die Synthese von Archäologie und Geschichte nachweisen.

Die Kirche besteht bis um etwa 1500 aus dem Langhaus (11,50 m x 9,50 m) mit einer östlich angesetzten kalottengewölbten Rundapsis; von der romanischen Flachdecke „mit ihren gewaltigen Pfosten“ ist nur der Abdruck einer Putzgrenze an der Westwand zu sehen; diese Flachdecke war nicht an der Dachkonstruktion aufgehängt, sondern wurde von Pfeilern getragen. Das Satteldach war wesentlich flacher und wurde um 1630 im Zuge der Errichtung der Holztonnendecke erhöht.

Die ursprüngliche Rundapsis wurde erst durch die Ausgrabungen 1966 festgestellt. Die Rundapsis war niedriger als das Langhaus; das Dach war ein Steinplattendach, welches die aufgehende Mauer rund 20 cm überragte. Der nach dem Abriss der Apsis an das Langhaus angefügte Chorraum wurde bereits um 1500 errichtet. Die südseitig an den Chorraum angebaute Sakristei gehört zur gleichen Zeitlinie; bis dahin war die Sakristei im unteren Teil des Turmes untergebracht. Die neue Sakristei zeigt sich als niederer, kreuzgratgewölbter rechteckiger Raum mit Rechteckfenster und Flachbogennischen; in die Südwand ist eine Rundbogennische eingebaut. Zum Grundriss ist zu bemerken, dass sowohl Turm als auch Chor samt Sakristei um 4 bis 5 Grad schräg nach Süden versetzt sind. Die ältesten Putzstrukturen im Langhaus gelten als "vorromanischer Putz" [3] der an mehreren Stellen der Langhauswände und am Rest der abgebrochenen Apsis nachweisbar ist.

Die Fenster im Langhaus wurden ursprünglich als Rundbogenfenster ausgeführt und im Lauf der recht ungewöhnlichen Baugeschichte vielfach in Form und Größe verändert. Dabei wurden Wandfresken nachhaltig gestört sowie wesentliche Teile davon auch zerstört. Eine nordseitige Öffnung, die wesentlich höher als der Fußboden liegt, lässt sich als schmaler Durchgang der Nordseite erkennen; die südliche Öffnung ist als Fenster klassifizieren. Beide Öffnungen wurden um 1500 wieder verschlossen.

An der Rückwand des Langhauses lassen sich bis auf die Rundöffnung in der Mitte keine weiteren bzw. verschlossene Fenster (oculi) feststellen; die darüber liegenden fünf Balkenlöcher wurden um 1500 verschlossen. Die um 1630 errichtete Holzdecke mit in Längsrichtung geordneten Bretterlagen hatte eine nur geringe Wölbung; sie wurde nach dem Krieg (um 1960) durch ein höher eingezogenes Tonnengewölbe ersetzt.

Ein "spitzgemauerter Turmhelm" krönt das alte Kirchlein; er ist jünger als der rechteckige Kirchenraum. Der untere Teil stammt wohl aus dem Ende des 11. Jahrhunderts; die Erhöhung des Turmgevierts datiert in das 13. Jahrhundert; bis dahin wurde das Erdgeschoss als Sakristei genutzt. Zeitgleich mit der Erhöhung des Turmes um 1250/1280 sind die beiden Glocken dokumentiert. Nach dem Abbruch der ehemaligen Rundapsis um 1500 wurde ein neuer Zugang zur Sakristei und zum Turm geschaffen und die bis dahin bestehende Öffnung an der Westseite des Turmes geschlossen.

Der Turm ist mit gekoppelten und einfach angesetzten Schallöffnungen und vorkragendem Giebelgesims versehen; er trägt einen bis oben gemauerten Giebelspitzhelm mit knopfartigen, einfachen Fialen. Der Turmgrundriss steht leicht schräg versetzt, ist unregelmäßig und verjüngt sich nach oben um 20 bis 35 cm an jeder Seite. Die ursprüngliche Helmkonstruktion aus gebrochenem Kalkstein, mit Tuffstein versetzt, wurde bei den Restaurierungsarbeiten 1990/91 mit einem mehrschichtigen Zementmörtelputz überzogen und zugedeckt. Durch diese Zementhülle wurden lösliche Salze in das Gefüge eingebracht, die bei der nun stattgefundenen Restaurierung sicherlich nicht vollständig aus dem porösen Tuffsteingefüge entfernt werden konnten. Damit waren massive Salzausblühungen in der Fensterzone - sowohl innen wie außen - verbunden, die weiter beobachtet werden sollten.

Das Jahr 1483 ist das Gründungsdatum einer eigenen Kaplanei; um 1500 wird die Rundapsis abgerissen und ein Chorraum in rechteckiger, leicht asymmetrischer Form angebaut. 1629/30 werden Chor und Sakristei unter Rudolf von der Halden zu Haldenegg auf gewölbt umgebaut. Das Langhaus erhält eine neue Holztonnendecke. Die Familie Deuring stiftet 1631 einen neuen Hochaltar, die 1634 vom Bludescher Maler Andreas Spindler (1581 - 1644) gestalteten Seitenaltäre werden der Halden'schen Stiftung verdankt. Der dritte Altar wird 1634 eingerichtet. Der ehemalige Durchgang zum Turm ist längst verschlossen.

Der Fußboden bestand bis 1965 aus einer "walgautypischen" Kleinpflasterung: runde bzw. rundovale Flußsteine zwischen 4 bis 6 cm Größe werden kopfstehend in ein relativ festes Unterbett gelegt, sodass eine nicht ganz ebene und mit vielen kleinen Rinnen versehene Oberfläche entsteht. Solche Oberflächen ("Lutzbolla-Bsetzi") waren noch nach dem Krieg in zahlreichen spätmittelalterlichen Häusern in Bludesch im Eingangsbereich und im Flur häufig nachzuweisen. Im Zuge der Grabung 1966 wurden die vor dem Chorraum eingelegten Kreuze entfernt.

Das Kirchengestühl datiert 1615; es besteht auf der Männerseite aus einer Kniebank mit Armstützen und sehr niedrigen Sitzgelegenheiten, auf der Frauenseite aus einfachen Sitzbänke ohne Knieholz und Rückenlehne. Die Armstützen der Männerseite liegen 87 cm hoch, die Sitzbänke auf der Frauenseite sind 43 cm hoch. Zwischen dem 17. und bis ins 19. Jahrhundert hinein werden mehrere z.T. große Fensterveränderungen registriert, welche mit der im Mauerwerk aufsteigenden Feuchtigkeit zum teilweisen Verlust der Fresken und der Zerstörung mehrerer Bilderflächen führen.

1631 wird im Zuge der Instandsetzungen 1629/30 nahe der Kirche ein kleiner Friedhof errichtet. Es gibt darüber keine Weiheurkunde und keine Nachrichten über den weiteren Weg; es ist die Zeit des Dreißigjährigen Krieges - dieser hat Südvorarlberg aber noch nicht erreicht.

Am Turm '„wächst Gestrüpp“,' das ist 1906 nachgewiesen und wird um 1920 wiederholt aufgezeigt. Das Gestrüpp am Turm ist auch 1988 nachweisbar.

Die Wandmalereien in der Nikolauskirche sind nicht einfach „Fresken“, sondern "Seccomalerei" das ist „Malerei mit Erdfarben auf Kalkuntergrund“ - so Restaurator, Claudio Bizzarri. [4] Diese Seccomalereien unter Verwendung der gesamten mittelalterlichen Farbpalette [5] im Kirchenraum werden spätestens zur Restaurierung und Erweiterung 1629/30 zugedeckt d.h. übertüncht. Sie werden 1937 von Ulmer [6] zwar angeführt, tatsächlich erst 1948 wieder entdeckt. Sie werden bis 1950 „mit sehr rauen Mitteln“ im Sinne der damaligen Vorstellungen und Möglichkeiten freigelegt und sind die Sensation der Nikolauskirche und ein großartiges Stück Kultur- und Kirchengeschichte in einem alten, kleinen Dorf - villa Pludassis lebt wieder. (dgj)

Weitere Ausführungen zur Wandmalerei, zu den Altären sowie der detaillierten Geschichte der Nikolauskirche [7] sind in einem am Eingang aufgelegten Buch "Denkmäler und Kirchen Bludesch" von Guntram Jussel (€ 20,00) zu entnehmen.

Die Nikolauskirche ist täglich von 8 Uhr bis 18 Uhr geöffnet.

  1. Peter Berzobohaty / Tom Organ, Untersuchungsbericht 1998
  2. Sydow 1990, Kirchenarchäologie in Tirol und Vorarlberg, Horn 2001, Seite 12
  3. Riff-Podgorschek/Sipek, Restaurierungsbericht 2002/2003, Teil 1/13
  4. Bizarri, Innenrestaurierung 2004/2005, Teil 1/32 zu FN 27
  5. Riff-Podgorschek/Sipek, Restaurierungsbericht 2002/2003, Teil 1/13
  6. Ulmer/Schöch, Topographisch-historische Beschreibung, Band 6, Seite 455
  7. Guntram Jussel: Nikolauskirche in Bludesch-Zitz - zwischen Archäologie und Geschichte in: Montfort 2008/3 Seite 182 - 221